Strahlenopfer aus Tschernoby

Elterngruppe aus in Minsk in Berlin / Deutsche Mütter wollen helfen  ■  Von Wieland Giebel

Berlin(taz) - Sie reden leise, berichten von der Zone, von ihrer Zone, von der Tschnobyl-Zone. Jelena Pankratowa und Wladimir Skworzow gehören zu der Gruppe „Die Kinder von Tschernobyl“ und arbeiten beim deutschsprachigen Kurzwellenprogramm von Radio Minsk. Die Gruppe hat sich erst im Frühjahr 1989 gebildet, als die Nach-Tschernobyl-Bewegung in der Bundesrepublik ihre Kraft verloren hatte.

„Es ist unverzeihlich viel Zeit vergangen, ein Verbrechen am Volk. 75.000 Menschen werden an Krebs sterben,“ sagt Jelena in der Berliner Patmos-Gemeinde. Wie hoch die Strahlung wirklich ist, kam erst in diesem Jahr heraus. In dem westlichen Gebiet bis 100 km von Tschernobyl ist der Quadratmeter Boden mit bis zu drei Millionen Becquerel Cäsium-137 belastet. Im Allgäu lagen die Höchstwerte bei 20.000 Bq. Die Ganzkörperbelastung eines Drittels der Menschen beträgt bis zu 74.000 Bq Cäsium, zehn Prozent der Bewohner sind mehrfach höher belastet. Zum Vergleich der Grenzwert für Lebensmittel: 600 Bq/kg.

Fehl- und Mißgeburten sind die Folge. Statistiken werden nicht geführt, wissenschaftliche Untersuchungen gibt es nicht, nur in einer Kolchose wurden die Monster-Ferkeln gezählt. „Die Kinder von Tschernobyl“ dokumentiert jetzt die menschlichen Mißgeburten. Mehr als die Hälfte der Kinder in der betroffenen Region weisen Schilddrüsenerkrankungen auf. Sie müßten zumindest mehrere Wochen im Jahr in unbelastete Gebiete. Geld steht dafür nicht zur Verfügung.

„Eigentlich sollten 180.000 Menschen evakuiert werden“, sagt Wladimir. „Das würde elf Milliarden Rubel kosten, soviel wie der jährliche Haushalt von Weißrußland. Moskau müßte helfen. Die Umsiedlungen laufen nur langsam an. Die Bauern kleben auch an der Scholle.“ Obwohl die am stärksten verstrahlten Dörfer mit unbedenklichen Lebensmittel versorgt werden sollen, reicht das nicht einmal für die Kinder. Milch, Gemüse und Obst aus dem eigenen Garten kommen weiter auf den Tisch. Eine Folge der Not. Geheizt wird mit Holz, mit dessen radioaktive Asche gedüngt wird. Bettina Gehrke von der Berliner Elterngruppe: „Wir haben Becquerel gezählt, ohne etwas von Euch gewußt zu haben, ohne Euch zu helfen.“ Das kann sich ändern. Ein Meßgerät der Gruppe „Aktiv gegen Strahlung“ soll nach Minsk gebracht werden.

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