„Schickis und Deppen - verpißt Euch!“

■ Anonymer Buttersäure-Anschlag auf Kreuzberger Kneipe / „Kiez-Miliz“ gegen Kneipenstürmer / „Horrorvision“ von der kapitalistischen Hochglanzmetropole / Wie muß eigentlich eine „linke Kneipe“ aussehen?

Kein Cadillac, kein Chrom, keine Cocktails - trotzdem: in der Scheibe der „Cafe-Bar“ in der Kreuzberger Wrangelstraße ist ein großes Loch. Fünf Vermummte warfen nachts bei Hochbetrieb erst einen Mauerstein, dann Buttersäure durch das Fenster, die Scherben verletzten die Bedienung. Eine Erklärung („Sie stinken uns alle“) kam dann auch eine Woche später im wöchentlichen „Berlin-Info Interim“ von „einigen VolxsportlerInnen“. „Läden wie die 'Cafe-Bar‘ sind ein Schritt zur Umstrukturierung der Kieze. Wo im letzten Jahr noch eine türkische Kneipe war, saufen jetzt Yuppis und Spießer mit 'linkem Anspruch‘ in steriler Zeitgeistatmosphäre“, stand dort klipp und klar in schwarzen Druckbuchstaben.

Die „Cafe-Bar“ Ecke Wrangel-/Skalitzerstraße gibt es erst seit vier Wochen. Besitzer Frank Kemm (26) hat vorher in Kreuzberger Kneipen rumgejobbt und jahrelang in einem besetzten Haus gelebt. Seit neun Jahren wohnt er im Kiez. In seiner Kneipe ist es düster, verraucht, Pappdeckel liegen auf dem Fußboden und Bierränder hinterlassen auf der Theke eher schmierigen Glanz als Yuppie-Hochglanz. Die Einrichtung sieht nicht teuer aus, aber auch nicht so provisorisch wie in einem besetzten Haus. Und das vermittelt einem das angenehme Gefühl, nicht unmittelbar auf eine Polizeiräumung zu warten - „sterile Zeitgeistatmosphäre“?

Um Mitternacht ist die Kneipe voll. Der Neu-Wirt kennt fast jeden seiner Kneipenbummler, weil so gut wie alle aus Kreuzberg sind. Schickis? Die Klamotten sehen nicht so aus. Auf den Tischen prickelt kein Schampus, in den Händen fluoresziert kein bunter Cocktail. Das Publikum will Pils. Der Typ am Zapfhahn könnte sich vielleicht mal wieder die Haare waschen.

Der Ex-Besetzer und Barbesitzer Frank hat Kreuzberger Connection. Nach dem Anschlag hat für ihn die „Kiez-Miliz“ ermittelt und den anonymen Kneipenkämpfern erklärt: „So geht es nicht.“ Frank hofft, daß „das jetzt erledigt ist“. Die geplante Autonomendemo, die kommenden Samstag durch Kreuzberg ziehen wird, wird Frank recht geben - oder auch nicht.

In dem dreieinhalb Seiten langem Aufruf zur Demonstration heißt es: „Wenn es dem Kapital und seinen sozialdemokratischen und alternativen HandlangerInnen gelingt, die existierenden sozialen und politischen Strukturen zu zerstören, aufzukaufen und zu spalten, dann fehlt uns eine wichtige Bedingung für linksradikalen Widerstand.“ Und seit dem DDR-Grenzer taten, was die Anarcho -Rock-Band „Ton-Steine-Scherben“ jahrelang erfolglos empfohlen hatte („Reissen wir die Mauern ein, die uns trennen“), haben manche Kreuzberger Grundstücke den dreifachen Wert und die Anarcho-Szene Angst. Kreuzberg könnte „in einigen Jahren, von seiner geographischen Lage her, Zentrum einer kapitalistischen Metropole“ sein, so die „Horrorvision“ im Demo-Aufruf. Und die Kneipen seien ein erster Schritt zur Umstrukturierung.

Die einzige Kneipe im „Walde-Kiez“, die noch nie Schwierigkeiten gehabt haben soll, ist das „Marabu“ in der Görlitzer Straße, berichten Kreuzberger Kneipeninsider. Den Laden gibt es seit sieben Jahren. Wenige Schritte weiter ist an die Eingangstür der „BarGelb“, eine Ecke weiter an die Wand des Cafes „Altenberg“ gesprüht: „Schickis, Deppen verpißt Euch!“ Im „BarGelb“ wurden Tische und Stühle geklaut. Im „Altenberg“ kam zur Eröffnung Anfang Oktober ein Pärchen. „Die haben in die Speisekarte geguckt“, erinnert sich der österreichische Besitzer, der seinen Namen lieber für sich behalten will, „und behaupteten, das ist zu teuer, und das ist zu teuer!“ Später war eine Leuchtreklame des Cafes mit einem Mohrenkopf zertrümmert und „alles vollgesprüht“.

Der Besitzer vom „Altenberg“ lebt seit fünf Jahren in Kreuzberg. Im Gespräch mit den beiden Gästen, denen die Speisekarte zu teuer war, stellte sich dann heraus, daß die beiden „Besucher“ erst seit einem halben Jahr beziehungsweise seit acht Monaten in Berlin wohnen.

Dirk Wildt