Wir suchen einen dritten Weg

■ Rolf Reissig ist Mitglied der Akademie für Gesellschaftswissenschaften der SED / Er war an den in den in den letzten Jahren geführten Gesprächen mit der SPD beteiligt

taz: Herr Reissig, Sind Sie zu so später Stunde noch in der Lage, etwas Intelligentes zu sagen?

Reissig: (lacht) Wir können es ja probieren

Sie standen schon länger im Geruch, ein Parteireformer zu sein. Ist der Verlauf des außerordentlichen Parteitages in Ihrem Sinne?

Wenn man die Ausgangssituation betrachtet, ist das, was wir hier erleben, ein Schritt nach vorn. Es ist nicht zur Spaltung gekommen, wir konzentrierten uns aufs Wesentliche, den Bruch mit dem Stalinismus nämlich. Erstaunlich ist auch die demokratische Atmosphäre, die Willensbildung geht jetzt von unten nach oben. Die Diskussionbeiträge haben einiges aufgeworfen und zeigen, in welche Richtung wir gehen können, Stichwort ist der dritte Weg. Wir werden unseren Weg zwischen stalinistischen Strukturen und prokapitalistischen Strukturen finden müssen.

Es gab schon viele dritte Weg-Diskussionen. Sind Sie nicht in der Gefahr, olle Kamellen aufzutischen?

Das ist richtig. Dritter Weg heißt für uns nicht ein Weg zwischen Sozialismus und Kapitalismus, sondern zwischen dem gescheiterten Stalinismus und den kapitalistischen Strukturen. Im Grunde genommen ist das eine demokratisch -sozialistische Vorstellung, mit Mehrparteiensystem, mit Rechtssicherheit etc.

Sie werden Schwierigkeiten haben, zu begründen, wie es ohne kapitalistische Strukturen geht.

Der dritte Weg, der mir vorschwebt, bedeutet ja nicht den Verzicht auf gewisse kapitalistische Strukturen, auf Joint ventures etwa, auf Kooperation etc. Aber im Gegensatz zu den Entwicklungen in Polen und Ungarn wollen wir nicht auf die freie Marktwirtschaft setzen. Wir müssen die Marktelemente mit dem Plan koordinieren.

Was hat Ihnen an dem Verlauf des Parteitages nicht gefallen, was ist Ihre Kritik?

Noch ist es zu früh, ein endgültiges Urteil abzugeben und sich darüber zu äußern, zumal ich nächste Woche auf dem Parteitag ein Referat halten werde. Ich glaube, daß Vieles wesentlich gründlicher diskutiert werden muß. Die konkreten Konzepte und das langfristige Sozialismuskonzept sind ja nur umschrieben worden. Genauer wird aber nächste Woche diskutiert nach einem Referat zum modernen Sozialismus.

Es sah ja ganz nach dem Zerfall der SED aus. Ist jetzt, nach den Referaten von Gysi und Modrow, schon ein neues Wir -Gefühl in der SED eingekehrt?

Im Unterschied zu den letzten Tagen hat sich hier auch emotional etwas bewegt, vielleicht ist es ein Ansatz für ein neues Wir-Gefühl. Mit Gysi ist zumindest ein sichtbarer und deutlicher Bruch zur Geschichte der SED erreicht. Mit ihm ist zum ersten Mal seit Rosa Luxemburg wieder ein Intellektueller in die Führungsposition gewählt worden, einer, der andere Fragen stellt, der einen anderen Umgang mit Menschen pflegt, als dies bisher der Fall war. Ob er auch wirklich alle Qualitäten eines Vorsitzenden mitbringt, wird sich noch zeigen.

Die Deutschen arbeiten ja gerne, aber sie arbeiten nicht so gerne auf. Ist die Bestrafung für die ehemalige Führungsgarnitur für viele Nochparteimitglieder nicht auch eine Entlastung vor der eigenen Verantwortung?

Zunächst muß man sich gar nicht bemühen, der alten Führung Schuld zuzuschieben, die Vorwürfe sind schon jetzt ganz schön konzentriert. Man soll in dieser Beziehung weiterhin konsequent durchgreifen, aber richtig ist auch, daß wir die Strukturen ändern müssen, sonst haben wir bald wieder ein ähnliches Problem. Das System der Kooptierung und die Verfilzung von Parteiapparat und Staatsapparat haben auch weiter unten im Apparat zu Deformationen geführt.

Welche Vorschläge haben Sie persönlich, um das Seziermesser anzusetzen?

Ich würde es mal positiv machen. Wir haben in der Akademie ein Positionspapier erarbeitet, in dem Vorschläge über neue Entscheidungswege von unten nach oben gemacht werden. Stichworte dafür sind: Abschaffung des Politbüros, Transparenz im künftigen Parteivorstand, es müssen Formen der offenen Konfliktaustragung gefunden werden, wie Mehrheitsentscheidungen, Möglichkeiten für Plattformen, Rotationsprinzip, Wahl von Funktionsträgern für nur zwei Wahlperioden. Das sind schon Ansätze, die hoffentlich zur Überwindung der feudal-absolutistischen Strukturen, die bisher geherrscht haben, führen.

Was wünschen Sie sich bis nächste Woche, wenn der Parteitag wieder zusammentritt, am meisten?

Vor allem die wirklichen Eckpunkte eines alternativen Sozialismuskonzepts als programmatische Linie, das besser ist als das, was bisher vorliegt. Und ich wünschte mir vor allem, daß der Mitgliederschwund, der ja dramatisch ist, jetzt gestoppt werden kann. Ich hoffe, daß ein Hoffnungsschimmer auftaucht und es sich lohnt, für eine neue sozialistische Alternative, eine neue Sozialistische Partei auf deutschem Boden einzutreten.

Interview: Erich Rathfelder