Helmut Kohls wunderschöne Gipfel-Weihnacht

Auf Drängen des Bundeskanzlers sprach sich die EG erstmals für die deutsche Einheit aus - aber nur friedlich, bitte / Termin-Kompromiß bei Wirtschafts- und Währungsunion / Sozial-Charta geriet zur Nebensache / Das freute Sozialismus-Gegnerin Maggie  ■  Aus Straßburg Thomas Scheuer

Elf Regierungschefs sitzen schon um den Tisch; ärgerlich frägt Fran?ois Mitterrand über die Schulter nach hinten: „Können wir endlich anfangen?“ „Ich komme, ich komme“, antwortet Helmut Kohl, der im Hintergrund schnell einmal mit dem Pickel gegen die Berliner Mauer ausholt. Treffender als diese Karikatur auf der Titelseite der Samstagsausgabe von 'Le Monde‘ war die Stimmung auf dem turnusmäßigen Gipfeltreffen der EG-Regierungschefs zum Ende der französischen Ratspräsidentschaft am vergangenen Freitag und Samstag in Straßburg nicht zu beschreiben. Wie der undurchdringliche Nebel, der über dem Rheintal hing, umwölkte die deutsche Frage den Gipfel.

Der französische Präsident und der westdeutsche Kanzler waren unbestritten die Hauptakteure im Straßburger Kongreßzentrum. Fran?ois Mitterrand wollte sein Lieblingsprojekt einer Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) festklopfen lassen, Helmut Kohl seinen Kollegen das Placet für die deutsche Einheit abzuringen.

Beide fuhren zufrieden ins Wochenende. Der übernächste EG -Gipfel, Ende 1990, wird die Regierungskonferenz einberufen, welche einen „verfassungsändernden“ EG-Vertragstext über die Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion ausarbeiten soll. Dies beschloß die Runde gegen die Stimme Maggie Thatchers. Schon die WWU-Debatte war stark deutsch-deutsch gefärbt. Mit dem Projekt wollen vor allem die Regierungen Frankreichs, Italiens und Belgiens angesichts der Umwälzungen im Osten die Integration EG-Europas zementieren und forcieren. In Paris wird die WWU ganz offen als „Gegengift“ gegen riskante deutsch-deutsche Allüren des DM -Staates gesehen. Nun bekommt Mitterrand seine WWU -Regierungskonferenz, etwas später, als er eigentlich wollte, aber auch früher, als Kohl (wegen der Bundestagswahl 1990) lieb gewesen wäre.

Der bringt dafür ein Dokument nach Hause, in dem die EG erstmals das Recht der Deutschen auf „Einheit durch freie Selbstbestimmung“ anerkennt. Im Entwurf einer „Erklärung zu Mittel- und Osteuropa“ hatte es zunächst nur geheißen, die Veränderungen dort „berechtigen zu der Hoffnung, daß die Teilung Europas überwunden werden kann“. Kein Wort von deutsch-deutsch. Auf Intervention Bundeskanzler Kohls wurde nach zäher Debatte (Mitterrand: „Es hätte eine Krise geben können“) dann der Schlüsselsatz eingefügt: „Wir streben einen Zustand des Friedens in Europa an, in dem das deutsche Volk seine Einheit durch freie Selbstbestimmung wiedererlangen kann.“ Dieser Prozeß, heißt es in einem weiteren Einschub, auf den nun wiederum die Franzosen gedrängt hatten, müsse sich „auf friedliche und demokratische Weise“, unter Wahrung aller bestehenden Verträge und Abkommen und auf der Grundlage der KSZE -Schlußakte von Helsinki vollziehen.

Gleichzeitig wurden jedoch Beschlüsse zur massiven Unterstützung der Reformen in Osteuropa gefaßt. So soll eine Entwicklungsbank zur Unterstützung der Länder im Reformprozeß gegründet werden. Ferner will die EG mit der DDR noch im ersten Halbjahr 1990 ein Handels- und Kooperationsabkommen schließen.

Völlig unter den Tisch fiel die Sozial-Charta. Die hätte in einer feierlichen Zeremonie verkündet werden sollen. Um Maggie Thatcher nicht öffentlich bloßzustellen, wurde das Papier aber nur am Rande der Tagesordnung mal eben schnell verabschiedet - gegen die Stimme von Frau Thatcher. Damit ist das ohnehin rechtlich völlig unverbindliche Papier, so Gipfelchef Mitterrand, „nicht per definitionem ein echtes Gemeinschaftsprogramm“.