200.000 feiern Vaclav Havel als künftigen Staatspräsidenten

CSSR: Alt-Präsident Husak nach 21 Jahren zurückgetreten / Neues Kabinett vereidigt / Keine Mehrheit mehr für Kommunisten / Charta-Sprecher Jiri Dienstbier neuer Außenminister / Innenministerium nicht besetzt  ■  Aus Prag Katerina Wolf

Mehr als 200.000 Demonstranten haben gestern auf dem Prager Wenzelsplatz dem tschechoslowakischen Oppositionsführer Vaclav Havel einen triumphalen Empfang bereitet. Die Menge empfing Havel, der zum offiziellen Präsidentschaftskandidaten der Opposition erklärt wurde, mit Rufen wie „Havel Präsident“ und „Es lebe Havel“. Die anläßlich des Tages der Menschenrechte stattfindende Demonstration wurde zu einer Feier der Regierungsneubildung, in der Vertreter der Opposition Schlüsselpositionen einnehmen. Havel betonte, daß neun Mitglieder der Regierung das Vertrauen der Opposition genießen. Dazu gehören neben den sieben parteilosen Ministern auch die beiden Reformkommunisten Valtr Komarek und Vladimir Dlouhy.

Der Alt-Präsident Gustav Husak vollzog am gestrigen Sonntag mittag seine letzte Amtshandlung. Um eine Verfassungskrise zu verhindern, ernannte er vor seinem Rücktritt die Mitglieder der tschechoslowakischen Föderalregierung. Zum ersten Mal seit über vierzig Jahren haben die Kommunisten in der CSSR keine Mehrheit mehr. Während das Amt des Innenministers vorläufig unbesetzt bleibt, übernimmt Juri Dienstbier, ehemaliger Sprecher der Charta '77, das Außenministerium. Zu den ersten Stellvertretern des Premiers Marian Calfa (KPTsch) wurden Jan Carnogorsky und Valter Komarek ernannt. Komarek ist zwar ebenfalls Mitglied der KPTsch, zählt aber zumindest seit Beginn der revolutionären Veränderungen in der CSSR zu den führenden Köpfen der Opposition. Carnogorsky, ein Rechtsanwalt aus der Tschechoslowakei, gilt als gläubiger Katholik. Auf Druck der Demonstrationen wurde er erst vor wenigen Tagen zusammen mit anderen politischen Gefangenen aus der Haft entlassen.

Als weiterer Erfolg des Bürgerforums kann die Ernennung von Vaclav Claus (Finanzen) und Petr Miller (Arbeit und Soziales) gelten. Wie Komarek arbeitet Claus im Institut der Akademie der Wissenschaften, Peter Müller ist Vorsitzender des Streikausschusses des größten Prager Betriebes, TKD. Insgesamt genießen in der zur Zeit 21köpfigen Regierung somit 13 Minister das Vertrauen des Bürgerforums.

Der bisherige erste stellvertre Fortsetzung auf Seite 6

Havel-Porträt auf Seite 6

Kommentar auf Seite 8

FORTSETZUNGEN VON SEITE 1

tende Ministerpräsident Marian Calfa war am vergangenen Donnerstag von Gustav Husak mit der Regierungsumbildung beauftragt worden. In einer Fernsehansprache hatte Ministerpräsident Adamec zuvor deutlich gemacht, daß er sich unter dem „Druck ultimativer Forderungen“ nicht in der Lage sehe, erneut mit der Opposition zu verhandeln. Gegen den Vorwurf „ultimative Forderungen“ wandte sich im Namen des Koordinationsausschusses des Bürgerforums Vaclav Havel. Obwohl dieser bereits vor der ersten Regierungsumbildung von Adamec um personelle Vorschläge gebeten worden sei, hätte er lediglich empfohlen zu berücksichtigen, daß die KP die führende Rolle in der Gesellschaft verloren hat. Erst bei dem zweiten Versuch einer Regierungsbildung hätte das Bürgerforums auf dem ausdrücklichen Wunsch des Ministerpräsidenten konkrete Namen genannt. Die augenblickliche Krise sei daher nicht von der Opposition, sondern durch die schlechte Zusammensetzung der Regierung hervorgerufen worden.

In einer direkt vom Fernsehen übertragenden Eröffnungsrede der zweiten Sitzung am „runden Tisch“ hatte

Marian Calfa am Samstag abend vom Verlauf seiner zweitägigen Gespräche mit den Vertretern aller politischen Parteien sowie des Bürgerforums und der Öffentlichkeit gegen Gewalt berichtet. Nach „sehr schwierigen Verhandlungen“ sei schließlich eine „umfassende Übereinkunft“ zur Bildung einer „Regierung der nationalen Verständigung“ möglich gewesen. Für die oppositionelle Bewegung wertete Vaclav Havel die Verhandlungen als intensiv, kompliziert, aber auch qualifiziert, das Maximum des zur Zeit Möglichen sei erreicht. Vafel Mohorepa begrüßte im Namen der KP die Verhandlungsergebnisse. Er hoffe, daß in der Zukunft alle innenpolitschen Probleme am „runden Tisch“ diskutiert werden können. Auch die Sprecher der sozialistischen Partei und der Volkspartei zeigten sich zufrieden.