SELBER SPIELEN

■ In der Jugendtheaterwerkstatt Spandau und am Schiller-Theater können Jugendliche Theater machen

„O sole mio“ schmettert ein bärtiger junger Mann und reibt sich mit Nivea-Creme die Nase ein. Neben ihm knabbert eine, ins Schmusekissen gekuschelt, an einer Mohrrübe und umkreist dabei stetig eine Dame in Schnürstiefelchen, die konzentriert in einem Wörterbuch liest. Jemand wirft immer wieder einen Strick in die Luft. Insgesamt acht junge Spieler vertreiben sich so oder ähnlich ihre Zeit auf der Bühne vor einem mehrheitlich ebenso jungen Publikum: Die „Jugendtheaterwerkstatt Spandau“ spielt Becketts Warten auf Godot im Kulturhaus „Pumpe“. Im Zuschauerraum kursierte vor Vorstellungsbeginn das dreisprachige Textbuch, und die jugendlichen Fachleute hatten noch schnell einen verzückten Blick in selbiges riskiert. Nun warten sie auf den ersten Satz.

Auf acht Personen ist der Dialog von Wladimir und Estragon umverteilt - vier Pärchen warten hier, jeder für sich und auf seine Art, oft witzig oder auch beklemmend und fesselnd und für ein sogenanntes Amateurtheater mit unerwarteter Professionalität. Auch wenn sie dem Profitheater handwerklich vielleicht hinterherhinken, sind sie ihm um etliches an Spielfreude und Engagement voraus. Und nach dem ersten Akt hören sie einfach auf. Was sie sagen wollten, ist gesagt.

Im November hatte es die Spandauer ins Tiergartener Stadtteilzentrum „Pumpe“ verschlagen, denn ihre Heimspielstätte, das Forum Spandau, wird gerade umgebaut, und sie gastieren auch ganz gerne mal in Berlin. Nach den „Pumpe„-Vorstellungen hat es sich dann godotmäßig „ausgewartet“. Die Vorbereitungen für das nächste Theaterprojekt starten noch vor Weihnachten, diesmal ein „Shakespeare-Spektakel“, was immer das auch werden wird.

Seit drei Jahren schlägt sich die Jugendtheaterwerkstatt mit dem Etat des Spandauer Bezirksamtes durch und bringt pro Jahr ein neues Stück heraus. Die Jungschauspieler werden von einer Theaterpädagogin und einer Regisseurin betreut. Gleichzeitig arbeiten aber auch Bühnenbild- und Musikgruppen parallel am jeweiligen Projekt mit.

Ihren ersten Schritt vors Publikum machte die Jugendtheaterwerkstatt mit einer selbstgebastelten und -getexteten musikalischen Revue, die von einem Opernregisseur inszeniert wurde, danach träumte die Regisseurin Ingrid Hammer vom Sommernachtstraum. Aber die Kids hatten darauf keine Lust. Sie kriegten die knapp 400 Jahre alten „Texte nicht so in den Griff“ und wollten lieber was anderes machen, was mehr mit ihnen zu tun hat wieso sie dabei ausgerechnet auf das Altertumsstück Godot kamen, konnte mir keiner genau erklären, aber immerhin hat es noch keine 40 Jahre auf dem Buckel.

Die Gruppe ist aus Körpertheater-Kursen im Spandauer Forum hervorgegangen und kristallisierte sich aus einem Heer von theaterbegeisterten Jugendlichen heraus, von denen letztendlich nur wenige übrig blieben, die zwei Abende die Woche plus ab und an ein Wochenende diszipliniert Theater machen wollen. Wochenendfahrten nach Westdeutschland gehörten zur Probenzeit, und außer der Premiere waren fünf Abis und drei Erzieherabschlußprüfungen zu absolvieren.

Was bringt Jugendliche dazu, ihre Freizeit dem Theater zu „opfern“? Sind sie alle potentielle Schauspiel-Schüler, die auf diese Weise ihre Bühnenkarriere vorbereiten? Auf die Frage, was sie sonst noch machen, grinsen sie nur, nee, sie studieren, Geologie, erzählt einer, mit noch mehr Grinsen und Lachen darüber, wie das mit Theaterspielen wohl zusammenpassen soll. „Ja, aber ich mach dann auch immer wieder mal meine Aufnahmeprüfungen an der Schauspielschule“, kichert eine andere. Also doch. „Nein, ich sprech‘ da nur für mich“, die Gruppe sei in dieser Hinsicht überhaupt nicht homogen, findet Judith. Für sie, die im Stück einen weiblichen Wladimir spielt, ist hier eine gute Gelegenheit, Theater zu machen und dabei zu lernen. Für teure Workshops hätte sie gar kein Geld und an einer Schauspielschule ist sie noch nicht angenommen worden.

Seit Sommer 1989 arbeitet die Jugendtheaterwerkstatt mit dem Schiller-Theater zusammen. Das bedeutet, daß dort zwei Theaterpädagogen eingestellt worden sind, die versuchen, das Interesse des Theaters an vollen Zuschauerräumen und das Interesse der Jugendlichen, sich mit Theater auseinanderzusetzen, in welcher Form auch immer, zusammenzubringen. Vom Schiller-Theater aus werden nun ebenfalls eine Vielzahl von Kursen und Werkstätten für Jugendliche angeboten. Am beliebtesten sind, wen sollte es wundern, die Schauspiel-Gruppen. „Gemeinsam ins Theater“, Bühnenbild- und Musikkurse, „Was macht die Dramaturgie, was der Beleuchter?“, Theatermalerei-Werkstatt und „Literatur und Theater“ - auch diese Gruppen laufen allerdings recht gut. Vielfältig sind die Angebote zur Erziehung des zukünftigen Abonnenten und sie werden intensiv genutzt: von rund 100 jungen Leuten in über 14 Werkstätten am Schiller -Theater und in Spandau.

Die Kurse und Werkstätten sind zum größten Teil voll belegt, bei den Bühnenmusikern werden zum neuen Jahr aber noch Leute gesucht, die ein Instrument spielen, und die Literatur- und Theater-Gruppe kann auch noch Zuwachs vertragen. Infos für die Theatermacher (und -zuschauer) von morgen gibt's bei den Schiller-Theater-Pädagogen: Telefon 319 53 23.

ReWe