Gesellschaft, das bist du

■ Peter Weiermairs Porträtbildband: Beste Technik für tumben Geschmack

Wohl kaum ein fotografisches Genre ist so suggestiv wie das Porträt. Anfang der achtziger Jahre war ich bei einem Künstler und Sammler zu Besuch. In einem Zimmer hing das Porträt einer rothaarigen Frau, sehr persönlich, sehr intensiv. Ich fragte ihn, wer das sei. Er wußte es nicht, aber er wußte den Namen des Fotografen und was das Bild gekostet hatte.

Ich hatte das Bild also im falschen Kontext plaziert, im persönlichen. Der Irrtum offenbart die Schwierigkeit des Betrachters, aber auch des Erzeugers eines Porträts: Das Porträt muß sehr spezifisch sein, um zu wirken, aber das Spezifische muß vermittelt werden. Das geschieht nicht nur, wenn es beabsichtigt ist. Die RAF-Fahndungsfotos der Siebziger waren ja durchaus auch zeitgenössische Porträts, Bilder einer Zeit.

Die Technik der führenden Litho-Betriebe und Druckereien ist erheblich verbessert worden in den letzten Jahren: Das Buch ist nun endlich ein adäquates Medium, Fotografien zu zeigen und zu versammeln. Peter Weiermair hat mit dem Bildband Portraits - Das Portrait in der zeitgenössischen Photographie (Edition Stemmle) versucht, den Schlußbericht des Genres für die achtziger Jahre vorzulegen. Weiermair hatte im Schwesterverlag der Edition bereits zwei typgleiche Bände zur Aktfotografie zusammengestellt. Dabei war ihm sein guter Draht zu Bildern schwuler Fotografen zu Hilfe gekommen. Denn sie hatten ja den Männerkörper so vorbehaltlos ins Bild und damit den Akt in eine neue Phase gebracht.

Weiermair ist den schwulen Fotografen für das Porträtprojekt treu geblieben; aber ihre starke Beteiligung (mindestens acht von dreiundzwanzig) führt nun zu einem schiefem Bild. Drei davon gehören mit Sicherheit in eine Achtziger-Jahre-Anthologie: Andy Warhol, Robert Mapplethorpe, Peter Hujar. Warhol mit seinen Vierer-, Sechser- und Neunertableaus identischer Porträts (selbst, Truman Capote, Grace Jones), die mit Zwirn zusammengenäht sind; Mapplethorpe mit einer Auswahl sehr einfach gebauter Studioporträts (erstaunlich blasierte Bilder, allerdings); und Hujar mit seinen stillen Bildnissen, die so zwingend wirken, daß man glaubt, das gezeigte müßte das einzige Bild sein, das von der jeweiligen Person existiert. Auch Bruce Weber gehört noch dazu, weil er das Genre Porträt benutzt, um es zu unterlaufen: diese smarten, braungebrannten Jungs mit ihren raffiniert zufälligen Geleefrisuren sind Ikonen eines leerlaufenden Begehrens, das Individuen umwandelt in Waren. Allerdings, wenn die Aushöhlung des Porträts von innen (der Kernpunkt war immer ein Vertrauensverhältnis zwischen Künstler und Porträtiertem) angesteuert wird: Warum ist dann die unschlagbare Cindy Sherman nicht dabei, die immer Cindy Sherman fotografiert hat und durch sagenhafte Inszenierungskunststücke wohl alle Klischees von Frauen, die es jemals auf Bildern gab, restlos entlarvt hat? Statt dessen, zum Beispiel, der unsägliche Erwin Olaf, der bei Mapplethorpe Format und Licht (schlecht) geklaut hat, um die dümmlichsten Mätzchen zu inszenieren: von links kommt ein weißer weiblicher Hintern ins Bild, während rechts eine samthäutige Blondine vorführt, wie sehr sie schielen kann. Ein Porträt? Niemals.

Mapplethorpe und Hujar haben - ganz unterschiedlich - zwei Tendenzen in ihren Bildern vereint: der Person und ihrer Selbst-Inszenierung haben sie nicht nachgegeben, während sie die Vergeblichkeit des Festhaltens gleichzeitig begriffen und vermittelt haben. Daß sie schwul waren, hat ihnen da (irgendwie) geholfen. Erwin Olaf dagegen verfällt der Eitelkeit seiner Modelle, wenn es Männer sind; Frauen kann er offensichtlich nicht von Möbeln unterscheiden. Walter Pfeiffer läßt die Augen der Halbwüchsigen leuchten, daß man schon meint, den Samen zu riechen: aber ein Kopf macht noch kein Porträt.

Denn das Porträt als Zeit-Bild zeigt gerade die Gültigkeit und Unausweichlichkeit von Individualität: Gesellschaft, das bist du. Manche Fotografen glauben, dieser Aufgabe entgehen zu können, indem sie ihre Personen in aufwendigen Interieurs plazieren. Clegg & Guttmann - deren Riesenformate auf diversen Ausstellungen ich so perfekt wie nichtssagend fand

-hätten als Illustration des Achtziger-Jahre-Pomps gereicht. Weiermair stellt ihnen noch zwei ähnlich arbeitende Fotografen beiseite und erklärt: „Alte Kompositionsschemata der klassischen Malerei klingen hier an.“ Ein Argument, das Zeitgenossen um 1900 bestimmt beeindruckt hätte. Sicher, der Verzicht auf ein ergänzendes oder erklärendes Umfeld ist nicht die einzige Lösung für das Porträt: „Homeless in America“ heißt eine Serie von Mary Ellen Mark, eine der führenden Bildjournalist(inn)en Amerikas. Ein Paar mit zwei kleinen Kindern, alle totmüde, in ihrem alten Chevy oder Ford, der sie birgt und preisgibt wie eine tote, schwarze Muschel: ein fürchterliches Bild, dessen Intensität für alle anderen Bilder in diesem Buch den Standard setzt. Nur merkwürdig, daß Weiermair jedem Fotografen, gleich welche Qualität, exakt fünf Bilder gibt; und die ohnehin knapp vorgestellte Obdachlosenserie von Mary Ellen Mark auch noch mit einer Doppelseite Prominentenporträts unterbricht.

Letzte Nachricht: Thomas Ruff ist dabei mit seinen gnadenlos-banalen Studioporträts (Farbe), und Thomas Florschütz mit seinen zerbrechlichen Schwarzweiß-Porträts der Ostberliner Freunde, vor erst drei Jahren entstanden, aber bei Florschütz‘ rasender Entwicklung in Richtung symbolisch-sensuelles Experiment schon fast „Frühwerk“ (die Monographie ist bald fällig). Nur: Was nützen ein paar starke Bilder, wenn der Herausgeber sie nicht als wichtig erkennt, der Tagesproduktion gleichstellt? Auch schadet es vielen Bildern, wenn sie in der längst fad gewordenen „Galerien-Ästhetik“ (kleine Bilder, viel Weiß, penetrant zurückhaltende Schrift) präsentiert werden: Mapplethorpe, zum Beispiel, funktioniert nicht im A-5-Format. Auch die Aktanthologien hatten schon unter graphischer Oberflächlichkeit, unter aufwandslos produziertem Kunst -Flair gelitten. Aber in ihrer Mischung mehr und weniger bekannter Fotograf(inn)en hatten sie noch als repräsentativ für den Stand der Dinge gelten können. Das Porträt ist nun wirklich auf den Kopf gefallen. Das ist schon deshalb bedauerlich, weil kaum ein Konkurrenzverlag in absehbarer Zeit versuchen wird, etwas vergleichbar Aufwendiges zum Porträt auf den Markt zu bringen. Nichts läßt sich besser monopolisieren als der Irrtum.

Ulf Erdmann Ziegler