Aufstandswelle erschüttert Polens Gefängnisse

Lynchjustiz und gewalttätiger Protest gegen Teilamnestie fordert insgesamt acht Tote / Tausende Gefangene waren im Aufstand  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Insgesamt acht Menschen sind bei Gefängnisrevolten in Polen am Wochenende ums Leben gekommen. Im Gefängnis von Czarny bei Slupsk westlich von Danzig warfen aufständische Gefangene insgesamt sieben Tote nach draußen. Die polnische Nachrichtenagentur 'pap‘ meldete, die Männer seien bei privaten Abrechnungen und den Auseinandersetzungen mit den Wachen während des Aufstands ermordet worden. Die rund anderthalbtausend Rückfalltäter, die am Freitag fast das ganze Gefängnis in ihre Gewalt gebracht hatten, wurden von starken Polizeikräften umstellt und gaben daraufhin auf.

Wie die Regierungszeitung 'Reczpospolita‘ meldet, war in der Kleinstadt Czarny Panik ausgebrochen, zahlreiche Bewohner hatten die Stadt verlassen, die örtliche Armee -Einheit wurde in Alarmbereitschaft versetzt.

In Golebiowo bei Stettin wurde indessen im Zuge der Erstürmung des Gefängnisses durch Polizeikommandos die verkohlte Leiche eines Mannes gefunden, der nach Berichten des Stettiner Fernsehens offenbar ebenfalls einem Racheakt zum Opfer gefallen war. Der Kopf des Mannes war in das Bettgestellt geklemmt, der Leiche fehlten Arme und Beine.

Zu dem Sturm auf das Gefängnis war es gekommen, nachdem die circa 1.500 Häftlinge am Freitag begonnen hatten, den Knast systematisch niederzubrennen. Bei der Erstürmung kam es nach Augenzeugenberichten zu einem regelrechten Häuserkampf, bei dem die Polizeieinheiten Hubschrauber, Wasserwerfer, Sturmleitern und Panzerfahrzeuge einsetzten. Angesichts der Übermacht der Polizei ergaben sich die Häftlinge.

In Nowogard, ebenfalls bei Stettin, hatten Rückfalltäter am Wochenende vier Zellengebäude niedergebrannt. Bei den Auseinandersetzungen zwischen Gefängniswärtern und aufständischen Häftlingen wurden zahlreiche Menschen verletzt. Die aufständischen Gefängnisse waren von starken Polizeikräften umstellt worden, die eine Massenflucht der Häftlinge verhindern sollten. Die angespannte Lage in Stettin löste sich erst am Sonntag, als in Nowogard zwei Unterhändler der Regierung die Streikenden davon überzeugten, daß weiterer Widerstand zwecklos sei, da die Regierung sich entschlossen habe, den Konflikt auf ähnliche Weise wie in Golebiowo und Czarny zu lösen. Daraufhin beendeten die Häftlinge den Streik und kehrten zu Aufräumungsarbeiten in ihre Zellen zurück. Von 5 Zellentrakten waren bis dahin 3 komplett niedergebrannt.

Unklar ist immer noch die Lage in den Gefängnissen von Jaminsk ( Olsztyn), wo es ebenfalls zu einem Aufstand kam und in Swinoujscie und Lodz, wo Gefangene in den Hungerstreik getreten sind. Zu Gewalttätigkeiten kam es ebenfalls in Sieradz, Rawicz und Sanok. Lediglich im Krakauer Untersuchungsgefängnis wurde der Protest inzwischen friedlich beendet.

Hoffnung auf Amnestie

Zu den Protesten der Häftlinge kam es, nachdem der polnische Sejm am Freitag nachmittag einen Senatsvorschlag abgelehnt hatte, demzufolge auch mehrmalige Rückfalltäter von der geplanten Amnestie betroffen sein sollten. Die Amnestie ist eine Reaktion auf weitgehend friedlich verlaufene Häftlingsproteste vom Herbst dieses Jahres, mit denen die Gefangenen auf die teilweise unmenschlichen polnischen Haftbedingungen aufmerksam machen wollten. Zunächst hatte das Justizministerium eine Amnestie abgelehnt, aber eine Verbesserung der Haftbedingungen zugesagt (wir berichteten). Schließlich hatte der Sejm jedoch ein Amnestiegesetz initiiert. Der Senat, der Sejm-Entscheidungen überprüft, hatte die Amnestie auch auf Rückfalltäter ausweiten wollen, was in Gefängnissen mit hohem Anteil von Rückfalltätern Hoffnungen geweckt hatte.

Regierung Mazowiecki

in Schwierigkeiten

Die Häftlingsrevolten bringen die Regierung Mazowiecki in eine schwierige Lage. Mit ihrer relativ liberalen Haltung konnte sie in der Bevölkerung nur auf begrenzte Unterstützung rechnen. In einer Zeit, in der die soziale Differenzierung in Polen zu einem drastischen Anstieg der Kriminalität geführt hat (Steigerung der Schwerstkriminalität zum Vorjahr um 50 Prozent), war schon die angekündigte Amnestie in der Bevölkerung nicht sonderlich populär, auch wenn sie hauptsächlich Täter umfaßt, die der repressiven Gesetzgebung nach Verhängung des Kriegszustandes wegen überhaupt in Haft kamen. Insgesamt 17.000 Gefangene werden aufgrund der Amnestie in die Freiheit entlassen. Bereits in den letzten Monaten griffen Parteizeitungen Solidarnosc-Abgeordnete an, die mit den Häftlingen verhandelt hatten.

In gewisser Weise ist daher die Regierungsentscheidung, die Aufstände mit Gewalt zu unterdrücken, als rechtspolitische Niederlage der Regierung Mazowiecki anzusehen - die Debatte um die Amnestie hat die Lage in den Gefängnissen nicht beruhigt, sondern eher noch aufgeheizt.