„Hallo Gysi, hier Gorbi!“

■ Erstes Telefonat der beiden Parteichefs / „Mit außerordentlicher Aufmerksamkeit“ will Michail Gorbatschow die Wende in der DDR beobachten / Furcht vor Destabilisierung

Berlin (ap/taz) - „Mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln werde ich zum Erhalt und zur Festigung der SED sowie zur Sicherung der Souveränität der DDR beitragen“, beruhigte der frisch gewählte Generalsekretär Gregor Gysi seinen Amtsgenossen im Kreml. Gorbatschow hörte dies gern und sprach durchs Telefon: „Die Führung der KPdSU wird mit außerordentlicher Aufmerksamkeit an die weitere Entwicklung der Beziehungen zur DDR herangehen und im gegebenen Rahmen die Möglichkeiten zur Unterstützung nutzen.“ Gorbatschows „außerordentliche Aufmerksamkeit“ erklärt sich durch eine Bemerkung von Ministerpräsident Hans Modrow. Der hatte auf dem Parteitag berichtet, daß der KPdSU-Chef von einem Gelingen der Wende das Schicksal der ganzen Reformprojekte in Osteuropa abhängig macht. Gegenüber Gysi meinte Gorbi: „Alle Staaten müssen zu Frieden und Ruhe in Mitteleuropa beitragen, da von der Stabilität der DDR nicht unwesentlich die Stabilität des europäischen Kontinents abhängt.“

Bei ihrem ersten Telefongespräch sprachen sich beide Parteichefs gegenseitig Mut zu - beide hatten schwierige Parteisitzungen hinter sich. Gysi betonte die Notwendigkeit einer radikalen Erneuerung der SED sowie die Veränderung bestehender Strukturen. Gorbatschow wußte, was gemeint ist, denn das gleiche Lied hatte ihm gerade seine Parteilinke vorgesungen: die Streichung des Führungsanspruchs der KP aus der Verfassung und die Beseitigung stalinistischer Führungsmethoden in der Partei. Doch Gorbatschow hält eine straffe Führung bei der Verwirklichung der Perestroika noch für unumgänglich. So beließ er es bei freundlichem Schulterklopfen: „Mit alten Vorstellungen sind die gegenwärtigen Fragen nicht zu lösen.“

Wolfgang Berghofer, der stellvertretende SED-Vorsitzende, sieht für seine Partei die Aufgabe, das Land bis zur Wahl am 6. Mai regierbar zu halten. Deswegen sei eine Auflösung der Partei nicht richtig gewesen. Die SED sei immer noch eine einflußreiche politische Kraft, deren Funktion zur Zeit von niemandem übernommen werden könne.

smo