Besetzer mit Altar-Kerzen

■ Pfarrer besetzen Wohnungen für Obdachlose in Moabit Bezirkspolitiker haben das Haus „runtergewirtschaftet“

Ihre Talare hatten sie zu Hause gelassen, aber Altar-Kerzen waren mit im Gepäck. Denn „Kerzen sind überhaupt das Wichtigste, wenn man Platte macht“, erzählt Pfarrer Michael Rannenberg von der Heilands-Gemeinde. Er hatte bisher „die Stummel“ immer gesammelt, „in der Wärmestube waren die Obdachlosen immer heiß drauf“. Nun braucht der Protestant die geweihten Kerzenreste selbst. Mit einem Dutzend KollegInnen hat er gestern vormittag eine Wohnung in der Quitzowstraße in Moabit besetzt. In den insgesamt sechs leerstehenden Wohnungen im Haus sollen eilig Obdachlose einziehen - wollen die Kirchenleute.

Der stellvertretende Bezirks-bürgermeister Dieter Ernst war morgens auch gleich gekommen und hat auf die „Brandgefahr für die Gardinen“ aufmerksam gemacht. „Dabei standen die Kerzen auf dem Tisch, und Gardinen gibt es gar nicht“, wundert sich Pfarrerin Angela Albroscheit über den väterlichen Ratschlag des CDU-Mannes.

Und wundern muß man sich in der Tat. Besitzer des Hauses '138‘ ist nämlich seit mehreren Jahren das Bezirksamt Tiergarten. Seit über eineinhalb Jahren läßt es von den vierzehn Wohnungen sechs leerstehen. „Das Haus wird systematisch runtergewirtschaftet“, ärgert sich Hermann Pfahler, Sozialarbeiter in der 'Beratungsstelle für Nichtseßhafte‘ in der Levetzowstraße. Ursprünglich sollte der Altbau abgerissen werden, um Platz für einen Schul -Erweiterungsbau zu schaffen. Seit Sommer braucht der Senat das Haus allerdings nicht mehr, „aber im Bezirksamt hat sich nichts geregt“.

Dafür aber im Senat. Der hat die Kirchengemeinden gebeten, nachts soviele Menschen wie möglich aufzunehmen. Auf christliche Gegenliebe ist die weltliche Bitte allerdings nicht gestoßen: „Ich habe zwar nichts dagegen, auch wenn wir unsere Räume brauchen. Aber auf der anderen Seite sind Leute zu faul, leere Häuser aufzuschließen“, kritisiert Angela Albroscheit und spielt auf Bürgermeister Ernst an. Der wollte die religiösen Besetzer mittags abräumen lassen.

Vielleicht hat er vorher noch kurz an die Zeitungsberichte des heutigen Tages gedacht. Denn jetzt verhandelt er doch lieber mit dem 'Diakonischen Werk‘, das die Wohnungen untervermieten soll.

Dirk Wildt