Folgenschwerer Irrtum

■ Im Sommer wurde die Chance auf ein Ende des „bewaffneten Kampfes“ verspielt

Der Widerspruch, in den sich die empörten Krisenverwalter nach dem blutigen Anschlag auf Alfred Herrhausen hineinmanövriert haben, ist nicht zu übersehen. Der Generalbundesanwalt, der Bundesinnenminister, die JustizministerInnen: sie alle wollen die RAF-Gefangenen, namentlich Helmut Pohl, nur allzugern als geistige Urheber des Attentats überführen. Gleichzeitig haben sie jedoch die gemeinsame Parole ausgegeben, der Anschlag auf den Bankchef sei nicht als Quittung für das Scheitern des letzten Hungerstreiks und die Demütigungen zu verstehen, mit denen sie die Gefangenen nach dem Abbruch noch tiefer in die Depression stießen.

Natürlich wissen sie es besser. Pohl selbst hat die Schlußkonsequenz in seinem vielzitierten Brief Veränderungen des Systems könnten nur erreicht werden, wenn man den Mechanismus trifft, nach dem das Ganze funktioniert

-eindeutig als „Erkenntnis“ aus dem Scheitern des Hungerstreiks gekennzeichnet.

In der Tat sind die verantwortlichen Politiker und an ihrer Spitze der Generalbundesanwalt einem Irrtum erlegen, der Alfred Herrhausen das Leben kostete - aber eben nicht dem, den die 'Welt‘ Rebmann nun plötzlich unterstellt. Tatsächlich haben sie die Verbitterung unterschätzt, die ihre Ablehnung der Zusammenlegung in den Zellen und draußen hinterlassen hat. Wie sicher sich selbst Rebmann im Sommer fühlte, daß die RAF den „bewaffneten Kampf“ auch ohne jede Konzession bei den Haftbedingungen aufgeben werde, beweist eindrücklich das nun verspätet veröffentlichte Interview.

Der Bundesinnenminister gesteht freimütig, daß Anschläge, wie der gegen Herrhausen, nicht zu verhindern seien, die RAF „militärisch“ also nicht zu schlagen ist, um im selben Atemzug anzufügen, „beim Umgang mit Mördern“ dürfe es „keine Kompromisse“ geben. Das kann doch wohl nicht alles sein.

Wenn die professionellen Beobachter des Verfassungsschutzes die versprengten Reste der RAF und ihr Umfeld mit der These von der „Guerilla zur Zusammenlegung der Gefangenen“ einigermaßen treffend einschätzen - und nicht nur die Erkärung zum gescheiterten Anschlag auf Bayer am Montag spricht dafür -, dann bereitet zur Stunde irgendwo in der Bundesrepublik das Kommando XY einen neuen Anschlag vor; vielleicht auch eine Entführung mit dem Ziel, die Zusammenlegung zu erpressen. Es ist nicht auszuschließen, daß das politische Establishment dieses Landes entschlossen ist, lieber weitere Tote in Kauf zu nehmen, als in zwei, drei oder vier hochgesicherten Knästen der Republik sechs oder acht Gefangene zusammenzubringen.

Die politischen Hardliner aus CDU und CSU sind Gefangene ihrer eigenen Durchhalteparolen von gestern. Und auch die SPD-regierten Länder, die im Frühjahr immerhin die Kleingruppen in Köln und Lübeck ermöglicht haben, trauen sich nach dem Herrhausen-Anschlag nicht aus der Deckung. An wen soll man in dieser Situation überhaupt noch appellieren? Vielleicht kapieren die revolutionären Kämpfer, die entschlossen scheinen, ihren Vorbildern ins Grab oder die Betontrakte zu folgen, wenigstens eins: Der sicherste Weg, eine Verbesserung der Haftbedingungen auf Jahre unmöglich zu machen, ist die äußerste Zuspitzung. Der gedemütigte Staatsapparat wird sich an die halten, über die er verfügt und das sind die Gefangenen.

Gerd Rosenkranz