Brüder, zur Sonne, zur Einheit!

SPD vor Parteitag: Politische Macht nur im nationalen Chor erringbar / Auf „alle Eventualitäten“ vorbereitet  ■  Von Charlotte Wiedemann

Bonn (taz) - „Es wird auf dem Parteitag mit Sicherheit Leute geben, die stramm auf der Zweistaatlichkeit bestehen werden.“ So lautet die Prognose von Anke Fuchs, SPD -Geschäftsführerin - doch allzu viele können das am kommenden Montag im Westberliner Congress Centrum nicht sein. In der Bundestagsfraktion verweigerten nur zwei Abgeordnete einer Resolution die Zustimmung, in der Kohls Wiedervereinigungsplan begrüßt wurde. Und auch Parteilinke aus dem „Frankfurter Kreis“, die für Februar zu einem gesamtdeutschen Linken-Treffen einladen, wollen sich der Perspektive der „nationalen Einheit“ nicht ganz verschließen.

Ein prominentes Mitglied des SPD-Präsidiums hat hinter vorgehaltener Hand denn auch eine Bezeichnung bereit für jene, die nun immer noch die Existenz zweier Staaten zum „Dogma“ erheben würden: Das seien „Narren“. Würde sich nämlich die SPD den Rufen nach Wiedervereinigung widersetzen, nun, da diese Rufe auch in der DDR immer lauter werden, dann könne sie sich bestimmt für das nächste Jahrzehnt von der Macht verabschieden.

Die Grünen werfen nun der SPD vor, sie wolle sich mit ihrer neuen deutschlandpolitischen Erklärung gar auf die Lokomotive des Wiedervereinigungs-Zuges schwingen. Auch wenn der Begriff „Wiedervereinigung“ bei den Sozialdemokraten wegen seines revanchistischen Klangs gemieden wird: Der Vorwurf der Grünen trifft in verschiedenerlei Hinsicht. Die Sozialdemokraten bestreiten zum einen gar nicht, daß sie den Schulterschluß mit Helmut Kohl suchen. Sich vom Konzept der CDU abzusetzen, „das ist nicht unser Motiv“, sagt der Vorsitzende Vogel freimütig. Sondern es müsse unmißverständlich klargestellt werden, „was realistisch und möglich und notwendig ist, um zur Einheit zu gelangen“.

Dabei reklamieren die Sozialdemokraten einerseits die Urheberschaft für die Bemühungen des Kanzlers, zwischen Wiedervereinigung und europäischer Einigung keinen prinzipiellen Widerspruch aufkommen zu lassen. Mit einem gewissen nationalen Pathos wird nun an die Tradition der eigenen Partei erinnert und an jenen „Brief zur deutschen Einheit“, der 1970 von Egon Bahr zum Grundlagenvertrag formuliert wurde. Darin wird als politisches Ziel der Bundesrepublik festgehalten, „auf einen Zustand in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt“.

Zugleich präsentieren die Sozialdemokraten jetzt ein Konzept, mit dem dieser Weg realistischer und vielleicht auch sogar schneller beschritten werden kann: Sie betonen zunächst die Konföderation, einen Staatenbund also, der mit Blockzugehörigkeit noch vereinbar sei und deshalb „schon jetzt“ geschlossen werden könne. Diese Konföderation wird aber ausdrücklich als „Zwischenschritt“ hin zur bundesstaatlichen Einheit, dem „endgültigen Schritt“ deklariert.

Mit dieser Akzentsetzung wollen sich die Sozialdemokraten auch auf einen möglichst breiten Konsens in den verschiedenen Gruppen der DDR-Opposition stützen. „Es gibt keine Oppositonsgruppe, die das Thema in einer Weise behandelt, die über unsere Erklärung hinausgeht“, sagte Hans -Jochen Vogel gestern. Zwar hat sich die SPD jetzt auf die SDP als DDR-Schwesterpartei festgelegt, und Hans-Jochen Vogel wollte gestern auch bereits Wahlkampfauftritte in der DDR keineswegs ausschließen („wenn ich eingeladen werde“).

Zugleich möchte sich die Partei aber anscheinend gerne als Moderator jener anderen Oppositionsgruppen verstehen, die sich ebenfalls im sozialdemokratischen Einflußbereich ansiedeln. Auf dem Berliner Parteitag werden in der Deutschland-Debatte sowohl die SDP-Vertreter Rederecht haben als auch die Gäste vom Neuen Forum und Demokratischen Aufbruch. Und der deutschlandpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Hans Büchler, gab gestern eine gemeinsame Pressekonferenz mit zwei Wirtschaftswissenschaftlern vom Neuen Forum, die sich dort beide für eine völlig freie Marktwirtschaft einsetzen.

Gegenüber der SED wird die Trennungslinie gleichzeitig schroff gezogen - nicht nur aufgrund des aktuellen Streits um den sozialdemokratischen Namen, sondern auch weil der konservative Vorwurf vom „Wandel durch Anbiederung“ so tief in die eigenen Reihen gedrungen ist, daß manche nun die Tatsache der jahrzehntelangen Dialog-Politik wie Sandsäcke abwerfen wollen. Die SPD müsse sich jetzt, so heißt es in der Partei, vor allem auf „alle Eventualitäten“ einstellen: auf die Möglichkeit, daß die DDR als eigener Staat doch wieder auf die Füße kommt, und auf die Möglichkeit einer raschen Wiedervereinigung. In dieser Situation hat die deutschlandpolitische Erklärung für den Parteitag vor allem die Funktion, überhaupt etwas Nachlesbares vorzeigen zu können. Und weil die Festlegung auf die staatliche Einheit darin nur vage vorgenommen wird, ist es eben ein Papier, von dem der Deutschlandpolitiker Hans Büchler sagt: „Die Partei kann damit leben.“