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SED künftig Rot-Grün eingefärbt

SED-VordenkerInnen von der Berliner Humboldt-Universität legen „Diskussionsthesen zum Programm“ der Partei vor / Abrechnung mit dem tradierten Sozialismusmodell - „Die Fortschrittsrichtung heißt demokratischer Sozialismus“  ■  Von Matthias Geis

Berlin (taz) - Mit den Diskussionsthesen zum neuen SED -Programm wird sich die DDR-Opposition schwer tun. War schon die Wahl von Gregor Gysi zum neuen Vorsitzenden ein geschickter Schachzug der SED, um gegenüber den neuen politischen Kräften Reformprofil zu gewinnen, so werden die gestern veröffentlichten „Diskussionsthesen zum Programm“ den Druck auf die Opposition weiter verstärken.

Die Partei hat jetzt eine Plattform vorgelegt, in der so ziemlich alles Eingang findet, was auch der Opposition gesellschaftspolitisch attraktiv erscheint: Staatliche Gewaltenteilung und Wahrung gesellschaftlicher Einflußmöglichkeiten, Parteienpluralismus und Volksabstimmungen über alle existentiellen gesellschaftlichen Fragen; Absage an monopolistische Herrschaftsstrukturen in Wirtschaft, Politik und Kultur; Garantie der Menschenrechte und deren Weiterentwicklung im Hinblick auf Ökologie und informationelle Selbstbestimmung; weitgehende Einflußmöglichkeiten der Arbeitskollektive auf die Organisation des Arbeitsprozesses; Schaffung vielfältiger Eigentumsformen. Außenpolitisch befürwortet der Entwurf einen prinzipiellen Wandel der europäischen Staatenbeziehungen mit dem Ziel der Entmilitarisierung und Demokratisierung in einem „kooperativen Europa“.

Die SED, seit ihrer Gründung eine Bastion des Stalinismus, beansprucht mit ihren neuen Programmthesen nicht weniger als einen Platz innerhalb der „europäischen Linken“. Verfaßt wurde die Plattform von der Reformgruppe der Humboldt -Universität um Dieter Klein, Michael und Andre Brie, Dieter Segert..., die - so legen es einige Formulierungen nahe auch am Entwurf der Parteitagsrede von Gregor Gysi mitgearbeitet haben.

„Die Fortschrittsrichtung heißt demokratischer Sozialismus“ steht am Beginn des Entwurfs - fast ein wenig zu optimistisch angesichts des inneren Zustands der Partei und der Stimmungslage in weiten Teilen der Bevölkerung. Die Begründung für diese Perspektive appelliert an diejenigen, die die Wende herbeiführten: „Wir dürfen den demokratischen Aufbruch und das Selbstbestimmungsrecht der DDR-Bevölkerung nicht verspielen.“ Doch bei der Argumentation gegen die Befürworter einer schnellen „Wiedervereinigung“ bemüht sich der Entwurf um ein differenziertes Bild. Ausführlich werden die „progressiven Errungenschaften der modernen bürgerlichen Gesellschaft“ gewürdigt: Elemente des politischen Systems, die Rolle der Öffentlichkeit oder die neuen sozialen Bewegungen gelten den SED-Reformern als beerbbar. Gegen eine Übernahme des westlichen Gesellschaftsmodells führen die Thesen die ökonomische Machtkonzentration an sowie die Tatsache, daß die globalen Probleme der Menschheit Umweltzerstörung, Rüstung, Unterentwicklung - vom tradierten sozialistischen und vom kapitalistischen System verursacht, aber nicht zu lösen seien.

Daß es sich bei dem differenzierten Blick auf die westlichen Gesellschaften nicht um zeitgemäß taktische Konzessionen handelt, dafür sprechen die Passagen des Programmentwurfs, die sich mit dem Verhältnis zur Bundesrepublik beschäftigen. Da werden Weltbilder zerbrochen: „Demokratischer Respekt“ bekunden die Thesen denjenigen, „die sich mit der deutschen Nation identifizieren“. Das „Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit“ dürfe nicht mehr von vornherein als „revanchistisch“ denunziert werden. Nicht mehr die Existenz einer „deutschen Frage“ wird verneint, sondern deren „deutschnationale“ Lösung. Doch die Annäherung der beiden deutschen Staaten wird als notwendig bezeichnet. Die zukünftige Vertragsgemeinschft und ein „weitergehender Zusammenschluß“ müßten - so der west-östliche Konsens - in den Annäherungsprozeß der europäischen Staaten eingebettet sein. Immerhin will sich die SED in Zukunft dafür einsetzen, die DDR „zu einem produktiven Faktor beim Aufbau neuer, blockübergreifender Strukturen“ zu entwickeln. Die Revitalisierung der sozialistischen ökonomischen Zusammenarbeit soll eine „Einbeziehung der DDR in die westeuropäische Integration“ nicht ausschließen.

Die Begründung für die Notwendigkeit internationaler Kooperation ist ganz offensichtlich „grün“ inspiriert: „Wir wollen keine Wahl, ob die Existenz der Menschheit durch den atomaren Winter oder den Wärmetod der Erde, durch die Unterentwicklung oder die Fehlentwicklung der Wegwerfgesellschaft, den Ost-West- oder den Nord-Süd -Konflikt beendet wird.“

Doch der Programmentwurf versucht nicht, durch den globalen Problemhorizont die DDR-Realitäten und damit die Verantwortung der Partei zu verdecken. Zwar nutzen die Thesen die neuentdeckte Ablehnung des Schwarz-Weiß-Denkens auch zur Erinnerung an das „verantwortungsvolle und engagierte“ Wirken vieler SED-Mitglieder in der Vergangenheit. Doch die einzige „Gesetzmäßigkeit“, die sich vom einst unerschütterlichen, wissenschaftlichen Weltbild ins neue Programm gerettet hat, ist vernichtend: „Der administrative Sozialismus führte gesetzmäßig zu Stagnation, Krise und Fäulnis.“ Die „moderne Kulturgesellschaft“ jedenfalls, für deren Entfaltung sich die SED zukünftig einsetzen will, hat mit der alten nichts mehr gemein.

Der wirtschaftliche und kulturelle Wettbewerb hat sich an gänzlich neuen Werten zu orientieren: individuelle Selbstverwirklichung jedes Einzelnen, solidarisches Verhalten gegenüber Benachteilgten und Schutz der Umwelt. Das Ende der „auf den Mann zugeschnittenen Gesellschaft“ gilt den Parteireformern in einer zukünftigen DDR ebenso selbstverständlich wie der „Respekt vor der Normalität gleichgeschlechtlicher Beziehungen“.

Das politische System, das den neuen Normen zur Durchsetzung verhelfen soll ist eine Verbindung aus parlamentarischem System und direkter politischer Mitbestimmung. Die Teilnahme aller gesellschaftlichen Gruppen am politischen Prozeß wie auch eine konsequente Gewaltenteilung werden angestrebt. Neben Plebisziten über Grundsatzfragen befürworten die Thesen „ein System von gesellschaftlichen Räten, auf verschiedenen Ebenen, Interessenverbänden und Bürgerinitiativen vor. Zudem will die Partei künftig die kommunale Selbstverwaltung stärken und die ehemaligen Länder wiederherstellen.

Als „moderne sozialistische Partei“ will die SED in Zukunft basisdemokratische Strukturen bilden und ihre programmatischen Zielsetzungen in fortlaufender Diskussion verändern. Für den Apparat, der künftig keinerlei politische Machtbefugnis mehr haben soll, gilt jetzt das Motto „small is beautifull“.

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