MORDLASTIGKEIT

■ 5.Tage des sowjetischen Films in der Filmbühne

Pavel wacht auf: über seinem Kopf lautes Trampeln und Poltern. Da sitzt sein Chef Gudionov am Klavier, mitten in der Nacht, und läßt eine Fußballmannschaft in ihren stollenbesetzten Schuhen antreten und den Stepptanz üben. Sinnloser läßt sich Machtwillkür nicht ausspielen. Gudionov sonnt sich im Gehorsam. Pavel verkriecht sich schweigend.

Der Regisseur Wadim Abdraschitow erzählt Pavels Geschichte in Sprüngen zwischen den Zeiten. Sein Film Der Diener zerstört den Glauben an eindeutige Täter- und Opferverhältnisse. Pavel, ehemals Chauffeur des hohen Beamten Gudionov, wurde aus einer seltsamen Anpassung, fast instinktiven Witterung von Gudionovs Gedanken zu dessen ausführendem Organ. Seine Unterwerfung ist kein Produkt der Gewalt, sondern der Korrumpierbarkeit; er erhält ein Haus, eine Ehefrau und leichten Einstieg in die Dirigentenkarriere als Lohn für einen Mordanschlag. Doch diese Etablierung erweist sich als Akt der zeitverzögerten Selbstzerstörung. In der vermeintlichen Deckung seiner Vergangenheit schlägt Pavel rücksichtslos auf andere ein und wird wieder zum berüchtigten „Schakal“.

Am Anfang des Films sitzt Gudionov im Wald und heult einen Wolf an. Er ist ein Wiedergänger, ein von den schon Totgehofften zurückgekehrter. Seine Macht ist bloß noch Fiktion; doch der um seine Entlarvung fürchtende Pavel verleiht ihr wieder Realität.

In der Sowjetunion wird Der Diener als eine eindeutige Abrechnung mit dem Stalinismus und dessen zombiehafter Fortexistenz bis in die Gegenwart gewertet. Als deutscher Zuschauer ahnt man zwar, daß die kriminellen Akte stalinistischen Machtmißbrauch meinen, doch Abdraschitows Geflecht der Verweise bis zu Zitaten bestimmter Personen bleibt für uns unlesbar und taucht die Geschichte in eine merkwürdige Diffusität.

Ein früherer Film Abdraschitows, Plumbum, war von der gleichen Desillusionierung bestimmt: Der Jugendliche, der die Diebe jagte, war von üblem Geltungsdrang und der gleichen anfälligen Persönlichkeitsstruktur wie seine Gegner gezeichnet. Abdraschitow nimmt seinen kriminellen Geschichten alle abenteuerlichen und romantisierenden Elemente. Ihn interessiert nicht die Wahrheitsfindung im Sinne der Aufdeckung und Benennung von Schuldigen. Er betrachtet die Ereignisse kalt von außen und versucht nicht, sich auf die Motive der Personen einzulassen. Er seziert und diagnostiziert: Niemand bleibt übrig, an den man sich halten könnte.

Auf eine Katastrophe als einzig mögliches Ende der Geschichte der Gegenwart treibt auch Die Fontäne von Juri Mamin zu. Doch hier bringt die pessimistische Überzeugung von der Unverbesserlichkeit der sowjetischen Gesellschaft groteske Blüten hervor. Ihre Ordnungsmächte werden mit Gelächter überschüttet. Die Fontäne nimmt komische Rache an der Trägheit und dem Versagen der Bürokratie. Genüßlich wird die allmähliche Demontage eines Wohnblocks zelebriert. Erst lecken die Wasserleitungen, dann bricht das Dach und nicht viel später der kollektive Wahnsinn aus. Lagutin, Chefingenieur der Wohnungsverwaltung, verwandelt sich in seinen gehetzten Versuchen, den Untergang aufzuhalten, in eine lebende Karyatide und stützt das Dach auf seinen Schultern höchstpersönlich mit einer Gruppe von nun nicht mehr obdachlosen Alkoholikern ab. Das Fernsehen feiert ihn als Aktivisten. Die bröselnde Wasserleitung und das zerstörte Stromnetz werden uminterpretiert in ein staatstragendes Experiment zur Einsparung von Energie. Man richtet sich im Chaos ein.

In beiden Filmen nimmt die Musik eine gegenläufige Funktion ein. Einzig in den hymnischen Gesängen der Chöre, die Pavel erst als geprügelter Diener und dann als etabliertes Mitglied der Hoch-Kultur dirigiert, drückt sich eine weit entfernte Hoffnung auf Erlösung aus. Die Fontäne wird in fünf musikalische Abschnitte gegliedert - das Chaos als höchst inspirierender Stoff an die Musik verfüttert. Vom Dach des Hauses pflegte sich notorisch ein junger Komponist bei Klangverstopfung zu stürzen. Am Ende, als alle Mieter und selbst die Kellerkatzen die Ruine verlassen haben und im verschneiten Hof zwischen den Lagerfeuern hocken, bricht die furiose Sinfonie über ihn herein.

Katrin Bettina Müller

„Der Diener“ und „Die Fontäne“ laufen innerhalb der „5.Tage des neuen sowjetischen Films“ in der Filmbühne am Steinplatz, 14. bis 23.Dezember.