Einreisestopp für Mülltourismus?

■ Mit neuem Selbstbewußtsein wehren sich DDR-Bürger gegen die Giftmüllfrachten aus dem Westen

Zumindest der Gift- und Hausmüll aus West und Ost ist wiedervereinigt. Seit Jahren schon nutzt die Bundesrepublik die DDR als bequemen Müllhaufen. Doch mit der Umwälzung in der DDR wird der Protest dagegen lauter. Vergangene Woche demonstrierten die Anwohner der großen Deponien. Zur selben Zeit landete der Herrscher über den deutschen Mülltourismus im Knast: Schalck-Golodkowski.

Vergangenen Freitag gab es DDR-Umweltminister Hans Reichelt erstmals zu: Das Grundwasser unter den beiden Westmüll -Deponien im Bezirk Potsdam, in Vorketzin und Schöneiche, ist bereits „kontaminiert“. Sulfate, Salze und Ammonium entdeckte die Mittenwalder Gewässeraufsicht in Pegelbrunnen rund um die Deponie Schöneiche - mit Konzentrationen, die zum Teil weit über den Grenzwerten für Trinkwasser liegen.

Und weil die Bewohner der anliegenden kleinen Nester, etwa in Schöneiche, ihr Trinkwasser in privaten Brunnen direkt aus dem Boden pumpen, müssen die Dörfler nun um ihre Gesundheit fürchten. Acht Trinkwasserbrunnen einer Wochenendsiedlung in Vorketzin mußten die Behörden, bereits sperren. „Keinerlei Belastung“ meldet Abteilungsleiter Bernd Reise aus dem Ostberliner Umweltministerium lediglich im Fall der 1980 erbauten Deponie Schönberg, die wegen ihrer grenznahen Lage bei Lübeck schon seit Jahren im Blickfeld auch der bundesdeutschen Öffentlichkeit stand.

Jahrelang hatten auch in West- und Ost-Berlin unabhängige Umweltschützer gewarnt, daß die 1976 und 1977 im Berliner Umland gebauten Deponien Schöneiche und Vorketzin mangels Basisabdichtung das Grundwasser gefährden könnten. Die Behörden in beiden Stadthälften wollten davon bisher nie etwas wissen. Ungehindert wanderten Jahr für Jahr mehr als fünf Millionen Tonnen Müll und Schutt über die DDR-Grenze nach Schönberg, Vorketzin, Schöneiche und Deetz. Für den Westen war das Geschäft bequem, für die DDR einträglich. Hinter der DDR-Grenze, wo Bürgerproteste verboten und Umweltdaten geheim waren, wuchsen die Müllberge ungehindert in den Himmel. Die Einnahmen in „Valuta-Mark“ konnten derweil den Devisenfonds der SED füllen.

Besonders abhängig von den DDR-Deponien in seinem Umland ist West-Berlin. Knapp drei Millionen Tonnen Bauschutt und (teils verseuchter) Erdaushub wandern jährlich aus dem „Schaufenster des Westens“ auf den Hinterhof in der DDR. Eine Million Tonnen Haus- und Sondermüll lädt die Westberliner Stadtreinigung (BSR) jedes Jahr in Schöneiche und Vorketzin ab. Die Bewohner des 500-Seelen-Dorfes Gallun nahe Schöneiche, die jetzt um ihr Trinkwasser fürchten, hatten sich immer schon über die Mülltransporter der BSR geärgert: Jeden Tag donnert alle drei Minuten ein Zwanzigtonner durch die Galluner Dorfstraße.

Der Mann, der die Transporte steuerte, sitzt heute in Westberliner Untersuchungshaft: der ehemals mächtige Devisenstaatssekretär Schalck-Golodkowski. Das Ostberliner Außenhandelsunternehmen Intrac, das auf DDR-Seite die Müllimporte abwickelte, war seit 1981 Teil von Schalcks Imperium: Die Intrac gehörte zum „Bereich Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo) und erwirtschaftete mit 850 Millionen Valuta-Mark mehr als die Hälfte der Einkünfte, die KoKo verbuchen konnte. Das Müllgeschäft trug dazu nicht unerheblich bei. Greenpeace schätzte am Dienstag die jährlichen Einnahmen auf mindestens 170 Millionen Mark. Eberhard Seidel, stellvertretender Generaldirektor der Intrac, räumte auf taz-Anfrage immerhin ein, daß sich die Einnahmen in manchen Jahren auf 160 Millionen West-Mark beliefen.

Beide Zahlen sind offensichtlich untertrieben: Allein aus Berlin überwies die Senatsfirma Berlin Consult im letzten Jahr 85 Millionen Mark auf das Intrac-Konto bei der Deutschen Außenhandelsbank in Ost-Berlin. Der Hamburger Senat, neben Berlin größter Müllexporteur in die DDR, zahlt an die Intrac-Partnerfirma HBK in Bad Schwartau ebenfalls jährlich 80 Millionen Mark für die Erlaubnis, 400.000 Tonnen Hausmüll und 240.000 Tonnen Klärschlamm in Schönberg abzuladen. Hinzu kommen weitere Millionensummen für an die 600.000 Tonnen Hausmüll sowie etwa 200.000 Tonnen giftigen Sondermüll, die jedes Jahr aus dem restlichen Westdeutschland und anderen Ländern Westeuropas nach Schönberg, Schöneiche und Vorketzin gelangten.

Wie sich die Differenz zwischen Seidels Einnahmen und den Ausgaben im Westen erklärt und ob hier - nach dem üblichen Schalck-Muster - Provisionen abgezweigt wurden und in schwarze Kassen flossen, bleibt vorerst offen. „Für den Umweltschutz“, soviel weiß Abteilungsleiter Reise vom Umweltministerium in Ost-Berlin, wurden die Mittel jedenfalls „nicht eingesetzt“. Glaubt man Seidel, dann flossen wenigstens 40 Millionen jährlich in den Ausbau und die Instandhaltung der Deponien. In Schönberg investierte die Intrac nach seinen Angaben pro Jahr gute 30 Millionen; vier bis acht Millionen wurden - das bestätigt die „Berlin Consult“ - aus einem Westberliner Devisenfonds für die drei Deponien im Berliner Umland abgerufen.

Speziell in Schönberg bei Lübeck verlief die Akquisition von Müllchargen prächtig. Auf der 1980 eröffneten Deponie versammelt sich heute der Haus- und Giftmüll aus halb Europa. Im DDR-Umweltministerium hat man Transporte aus den Niederlanden, aus Österreich, Italien und der Schweiz registriert. Das Plansoll von jährlich einer Million Tonnen Abfällen hatte die Deponie Schönberg bereits 1985 erreicht. Mitte der 80er Jahre begann die Intrac damit, auch auf die kaum gesicherten Deponien Schöneiche und Vorketzin westdeutsche Mülltransporter zu leiten. Dort war Platz, nachdem die Westberliner Abfallmengen nicht in dem Maß gestiegen waren, wie das noch 1974 erwartet worden war. „Der Herr Schalck“, kommentierte ein Umweltschützer aus der Anliegergemeinde Kallinchen, „konnte eben nicht genug kriegen.“

Seit die Grundwasserbelastungen in Vorketzin und Schöneiche DDR-amtlich sind, darf eigentlich keine westdeutsche oder Westberliner Behörde mehr Genehmigungen für Exporte auf diese Kippen ausstellen. Denn das Gesetz verlangt bei Mülltransporten, die die EG verlassen sollen, einen Nachweis, „daß eine ordnungsgemäße Entsorgung im Empfängerland gewährleistet ist“. Diesen Nachweis kann für die beiden Deponien im Bezirk Potsdam niemand erbringen.

Die Asylbehörden im Westen werden bald Arbeit kriegen: „Intrac raus!“ haben unbekannte Ostberliner auf die Fassade des Handelshauses in Berlin-Pankow gemalt.

Hans-Martin Tillack