Kreuzbergs Luft: Arsen-Bundesrekord

■ Spitze: Die Berliner Luft enthält extreme Konzentrationen an Krebsstoffen / Doppelt soviel Arsen, Chrom, Nickel und Benzapyren wie im Ruhrgebiet gemessen / Umweltverwaltung: „Erhöhtes Krebsrisiko“ / Herkunft des Arsens noch völlig mysteriös

Alarmierende Meldungen kamen gestern aus der Senatsumweltverwaltung: Die Berliner Innenstadtbewohner, aber auch die Spandauer müssen mit ihrer berühmt -berüchtigten Luft weit höhere Konzentrationen an krebserregenden Stoffen einatmen als die Bewohner westdeutscher Städte. Die Belastung der Luft mit Arsen, Chrom, Nickel und Benzapyren überschreitet überdies deutlich die Richtwerte, die der Länderausschuß für Immissionsschutz (LAI) demnächst bundesweit in Kraft setzen will. Besonders hohe Giftkonzentrationen hat Thomas Schwilling, Referent von AL-Umweltsenatorin Schreyer, in Kreuzberg sowie den anderen Innenstadtbezirken ermittelt. Schwilling diagnostiziert deshalb für Bewohner dieser Gebiete ein - rechnerisch „erhöhtes Krebsrisiko“.

Herausragende Werte hat Schwilling für Kreuzberg ermittelt: Die Arsenbelastung überschreitet den Richtwert um 250 Prozent; der Chromwert erreicht sogar 370 Prozent. Um 63 Prozent höher als vom LAI empfohlen liegt die Nickel -Konzentration, und um 70 Prozent übertrifft der Wert für Benzapyren die LAI-Richtlinie. Die Kreuzberger Werte seien etwa „doppelt so hoch“ wie die Spitzenwerte in der Ruhrgebietsmetropole Essen oder in Düsseldorf, sagte Schwilling. Im Fall von Arsen beispielsweise liegt der Richtwert bei sieben Nanogramm (milliardstel Gramm) pro Kubikmeter; mit bis zu neun Nanogramm ist die Essener Luft belastet; der Kreuzberger Wert dagegen liegt bei 18 Nanogramm.

Bei diesen Angaben handelt es sich um Jahresmittelwerte, die der Senat 1988 in einem flächendeckenden „Stichproben -Meßprogramm“ ermittelt hatte und die der Umweltverwaltung jetzt vorliegen. Die kurzfristige „Spitzenbelastung“ sei zum Teil weit höher als diese Durchschnittswerte, meinte Schwilling. Im Vergleich zu 1984 - damals hatte der Senat dieses Meßprogramm schon einmal aufgelegt - seien die Werte auf „gleich hohem Niveau“.

Als Verursacher - speziell der Benzapyren-Belastung nannte Schwilling gestern den Autoverkehr sowie alte Kohleöfen in den Privatwohnungen. Der Referent forderte deshalb gestern „drastische Maßnahmen“, um den Autoverkehr zurückzudrängen, sowie eine „vernünftige Energiepolitik“. Völlig unklar ist der Umweltverwaltung, welche Quellen für die hohe Arsenkonzentration verantwortlich sind. Die TU soll nun im Senatsauftrag diese Wissenslücke schließen. Es sei „nicht auszuschließen“, räumte Schwilling ein, daß der Wind größere Schadstoffmengen aus Ost-Berlin in die Stadt trage. „Jederzeit vorstellbar“ sei es, mit Westberliner „Mitteln“ auch in Ost-Berlin ein Meßprogramm zu starten.

Hans-Martin Tillack