Die Roten, die Bösen und der Unflat

■ James Ellroys Kriminalroman „Blutschatten“

Vor sieben Jahren zeigte der finstere Cop Dudley Smith dem kleinen Streifenpolizisten Fred Underhill, wie man in Los Angeles mit widerspenstigen Zeitgenossen umspringt: schlagen, prügeln, würgen, Sprüche klopfen und anschließend ein Stoßgebet zum Himmel schicken, man gewähre gefälligst Verzeihung, verdammt noch mal. Underhill war beeindruckt und angeekelt und Dudley Smith nicht mehr als eine Nebenfigur in James Ellroys Roman Clandestine (Heimlich, 1982). Und das war gut so, hielt der Kriminalschriftsteller Ellroy doch in seinen Anfangsjahren das obsessive Potential seiner Figuren noch auf Distanz, konzentrierte sich auf stringente Erzählungen, bewies eine Prise - wenn auch unterkühlten - Humors und schrieb mit Brown's Requiem (Browns Grabgesang, 1981) und Heimlich zwei großartige Kriminalromane.

Inzwischen sind neun Jahre vergangen, Ellroy hat fünf weitere Romane vorgelegt - und die Sache ist ihm völlig aus dem Ruder gelaufen. Sein neuestes Elaborat trägt den Titel The Big Nowhere (Blutschatten, 1988) und wird vom Ullstein-Verlag als Flaggschiff einer neuen Reihe und mit dem dezenten Hinweis, es handle sich um einen „grandiosen Roman“, auf den Markt geworfen, was man, um nicht schmutzige Lügen sagen zu müssen, nur mit Public-Relations -Gepflogenheiten entschuldigen kann.

In Blutschatten, nach Silent Terror (Stiller Schrecken, 1986) und The Black Dahlia (Die schwarze Dahlie, 1987) Ellroys drittem Versuch, die Mischform aus Fiktion und historischem Kriminalroman in den Griff zu kriegen, stürzt er sich mit Vehemenz auf eines der sogenannten dunklen Kapitel der amerikanischen Geschichte, die Hexenjagd des Parlamentsausschusses für „unamerikanische Umtriebe“ auf die vielbeschworenen Roten in der amerikanischen Unterhaltungsindustrie zwischen 1947 und 1954. Dabei verknüpft er die Untersuchungen eines zuerst offen, dann verdeckt operierenden Untersuchungsausschusses, der Belastungsmaterial, sprich: Dreck über die Mitglieder einer linken Studioarbeitergewerkschaft in Hollywood zusammentragen soll, mit einer bluttriefenden Mordserie, bei der vier Opfer verhackstückt, angenagt und an bekannten Schwulentreffpunkten abgelegt werden. Das klingt nach Haß, Gewalt, Brutalität und Blut, und so ist es auch: der sattsam bekannte Ellroy-Eintopf aus gut abgehangenen Jugendtraumata, schwärenden und immer wieder neu schmerzenden Obsessionen aller Beteiligten, versetzt mit allerlei Schießer-, Schläger - und Sauereien und zusammengerührt zu einer schier unendlichen Verfolgungsjagd mit bekannt blutigem Ende. In Ellroys kalifornischer Wiederaufbereitungsanlage für abgenutzte Romanelemente jedes Jahr erneut auf Vordermann gebracht, wird dann auch hier das volle Ellroy -Personenprogramm serviert: psychopathische Mörder, dämonisierte Polizisten, mißverstandene Aufrechte und ein vollständiges Arsenal an schießwütigen, schlagfertigen, hieb - und stichfesten Schwachköpfen und altbekannten Ellroy -Fieslingen wie dem stellvertretenden Staatsanwalt Ellis Loew, Buzz Meeks, dem skrupellosen Sicherheitschef von Howard Hughes, und dem Oberdämon Dudley Smith, einem gehirnamputierten Waffenträger, den Ellroy wohl auch diesmal nur deshalb nicht abserviert, weil er ihn für die bereits angedrohten Fortsetzungsromane braucht. Dazu kommen, wie immer, ein Supercop mit kämpferischer Vergangenheit (als aufgepaßt! - Nazijäger mit Buchenwaldbefreiungslorbeeren) und hemmenden Familienproblemen, ein gequälter Jungpolizist mit traumatischem Schlüsselerlebnis und nicht zu bremsender Schnüfflermentalität und natürlich der einschlägige Massenmörder, in diesem Fall ein Jüngelchen aus folgendem Problemhaushalt: Inzest durch den Vater, wahnsinnige, bigotte und sexversessene Mutter, Heroinsucht, Gesichtsoperation, Vampirismus, unstillbare Rachsucht, wiederholte Einbruchdiebstähle, häufige Unterhaltungen mit Kommunisten und Schwulen, spielt Saxophon auf der Suche nach dem richtigen Sound, hat einen Mord beobachtet und deren vier selber verübt, und - als größtes Problem - die Erfindung durch James Ellroy. Der Junge heißt Coleman Loftis oder so ähnlich und kann einem leid tun.

Falls sich jemand nach dem Zusammenhang von Kommunistenjagd und Massenmordgeschichte fragt, kann ich nur den Rat geben, sich an den Kopf zu fassen und seiner Haare gewahr zu werden, denn an jenen ist er herbeigezogen: Es hätte sich genausogut um eine Verschwörung der Vereinigten Kaninchenzüchter Amerikas oder der meistmißverstandenen Kriminalschriftsteller des nördlichen Los Angeles handeln können. Ellroys gefürchtete Kommunisten sind entweder dumm, mexikanisch oder schwul, und ihre durchtriebene Wortführerin will sowieso immer nur das eine. (Ja, lechz! Anarchie, jetzt oder nie! Geifer, sabber...; d.S.) Darüber hinaus stammen seine psychologischen Begründungszusammenhänge seit langem direkt aus der Volkshochschule Disneyland, und den Verlust seines Humors hat er mittlerweile durch die Mentalität des Mannes fürs Allergröbste ersetzt. So wälzen sich seine Figuren dauernd im Unflat, und wenn man das Buch hochhält, läuften unten Blut raus.

Günter Grosser

James Ellroy: Blutschatten. Ullstein Verlag, 468 Seiten, DM 24,80