piwik no script img

Mohammed und die Frauen

■ Die marokkanische Soziologin und Frauenrechtlerin Fatema Mernissi entdeckt den Islam neu. In ihrem neuen Buch „Der politische Harem“ setzt sie einen Kontrapunkt zu Despotismus und Gewalt der religiösen Fanatiker

Mit einem Alles oder Nichts ist der marokkanischen Soziologin Fatema Mernissi nicht beizukommen. Weder läßt sie sich von islamischen Fundamentalisten vorschreiben, welche Rolle diese ihr als Frau zugedacht haben, noch ist sie bereit, dem Islam völlig den Rücken zuzukehren und vor der Übermacht westlicher Normen und Werte in die Knie zu gehen. Mit dem Versuch, sich aus diesem Harem mit Mikrowellenherd zu befreien, hat sich Mernissi so ziemlich zwischen alle Stühle gesetzt.

Raum schaffen für eine aufgeklärte, demokratische Gesellschaft, in der Religion nicht mehr zur Legitimation von Unterdrückung und Gewalt herangezogen werden kann, bedeutet für Fatema Mernissi, die Überlieferungen und Traditionen ihrer Kultur neu zu entdecken und zu interpretieren.

„Ich bin nicht mehr bereit, mir von den Fundamentalisten einen Islam in Sparpackung verkaufen zu lassen“, sagt Fatema Mernissi, „diese Leute sagen Islam und meinen Despotismus und Gewalt.“ Mit dem politischen Highjacking der religiösen Fanatiker in den islamischen Ländern müsse endlich Schluß gemacht werden.

Als schlichtweg reaktionär bezeichnet Fatema Mernissi zum Beispiel die ultraorthodoxen Anhänger des Religionsgelehrten Ibn Taimiya (Autor des 15. Jahrhunderts), dessen Fetwas (religiöse Gutachten) über die Frauen 1983 in Kairo neu aufgelegt wurden und sich großer Beliebtheit in fundamentalistischen Kreisen erfreuen. „Ausgerüstet mit diesem Handwerkszeug“, heißt es in dem Vorwort dieses Buches, „können wir nun alle diejenigen bekämpfen, die heutzutage von der Freiheit der Frauen reden.“ Der Wunsch, den weiblichen Körper zu verstecken, wird in diesem Werk zur Besessenheit, die Totalvermummung und auch die Beschneidung von Frauen mit islamischen Glaubensgrundsätzen legitimiert. Rebellische Musliminnen

Mit ihrem neuen Buch Der politische Harem, Mohammed und die Frauen hat Fatema Mernissi einen Kontrapunkt zu dieser Islaminterpretation gesetzt.

Warum, fragt die Autorin, hat sich das Bild der „Sklavin“, die in den Vorzimmern der Machthaber Intrigen spinnt, wenn sie nicht zu verführen weiß, und die das ewig Weibliche des Islam symbolisiert - ein Bild übrigens, an dem westliche Orientalisten, Maler und Literaten kräftig mitgezeichnet haben - so hartnäckig festgesetzt, und warum ist die Erinnerung an die großen Frauen der islamischen Geschichte so sehr verblaßt? Eine Erinnerung an Frauen, die es ablehnten einen Schleier zu tragen, die das Recht forderten, „baraza“, unverschleiert auszugehen. „Eine Baraza-Frau“ ist eine Frau, die ihr Gesicht nicht versteckt und ihr Haupt nicht zu Boden senkt. Ein 'Bazara-Mann‘ oder eine 'Bazara -Frau‘ sind Menschen, die für ihre Vernunft ('Aql) bekannt sind“, erläutert das anerkannte arabische Wörterbuch Lisan al-Arab.

Wer sind diese Musliminnen, die sich dem Tragen des Schleiers widersetzt haben? Fatema Mernissi hat sich auf die Suche nach diesen Frauen in der islamischen Geschichte gemacht, und sie gefunden. Da ist z.B. Sakina, die im Jahre 671 in Mekka geboren wurde. Sie ließ einen ihrer Ehemänner einen Ehevertrag unterschreiben, der ihr das Recht zum Nuschuz, „dem Aufbegehren gegen die Autorität des Mannes“, einräumte. Sie forderte das Recht, Naschiza, die Aufbegehrende, zu sein, und sie schmückte sich damit wie mit ihrer Schönheit und ihrer literarischen Begabung, um so die Bedeutung und die Vitalität der Frau in der arabischen Tradition unter Beweis zu stellen.

Mit ihrem neuen Buch hat sich Fatema Mernissi in die heiligen Hallen des islamischen Rechts (fiqh), einer klassischen Männerdomäne des Islams hineingewagt. Auf dem Index

Allein der Vorgang, daß sich eine Frau mit Korananalyse und Hadithliteratur, den umfangreichen Aufzeichnungen über die Taten und Worte des Propheten Mohammed, befaßt und sich damit den wichtigsten Quellen islamischer Rechtsfindung zuwendet, ist für viele muslimische Männer schon eine Provokation. Daß diese Frau bei ihren Untersuchungen auch noch zu anderen Ergebnissen kommt, z.B. daß das Tragen des Schleiers nicht mit dem Koran noch mit Aussprüchen des Propheten glaubwürdig legitimiert werden kann, ist ein Frontalangriff auf die islamische Männerwelt, die natürlich postwendend reagiert. Das Buch Der politische Harem steht in fast allen arabischen Ländern auf dem Index.

Aber behaupten nicht die islamischen Fundamentalisten, wie Fatema Mernissi auch, daß die Lösung für die islamische Welt heißt: Zurück zum Ur-Islam? Ist es nicht etwas romantisch zu sagen, daß zu Lebzeiten des Propheten alles in bester Ordnung war und die Frauen mehr Rechte hatten als heute? Dazu die Autorin: „Sie haben recht, wenn Sie von Romantik sprechen, auch daß Sie Paralellen zu der Denkweise der islamischen Fundamentalisten sehen, ist gar nicht so weit hergeholt. Ähnliches haben mir meine Studenten und Studentinnen auch schon vorgeworfen. Aber in meinem Buch geht es mir um ein spezifisches Problem: Jemand steht vor mir mit einem Schwert und sagt: 'Im Namen des Propheten, du bist weniger wert als ein Mann. Ich entziehe dir im Namen des Islam deine politischen und individuellen Rechte, denn niemals wird ein Volk zu Wohlstand gelangen, das seine Geschäfte einer Frau anvertraut.‘ Auf Grund meiner Studien kann ich jetzt antworten: 'Du sagst, daß du im Namen Mohammeds sprichst, wenn du sagst, ich sei minderwertig. Dann möchte ich dir sagen: Hier ist Mohammed! Du kannst nicht beweisen, daß er die Frauen benachteiligt, sie von religiösen und gesellschaftlichen Fragen ausgeschlossen hat.‘ Das ist alles, was ich in meinem Buch herausstellen möchte. Ich bin doch keine Idiotin, die sagt, laßt uns zurückgehen in das siebte Jahrhundert, zurückkehren zum glorreichen Himmel der Muslime. Dieser Himmel ist heute übersät mit westlichen Satelliten. Alles, was ich sage, ist: Rechtfertige nicht Gewalt gegen mich, indem du dich auf Mohammed berufst.“

Islam habe man ihr in der Koranschule mit dem Stock eingebläut. Die Füße festgesetzt mit Holzzwingen, wurden Koransuren abgehört, machte ein Schüler einen Fehler, dann schlug der Lehrer ihm mit einem Stock über die nackten Fußsohlen. Diese brutale Gewalt vergleicht die Autorin mit einer Art Gehirnwäsche, die dazu geführt hat, daß sie ihre Arbeiten ausschließlich in Englisch oder Französisch schreibt. „Ich habe oft das Gefühl“, sagt Fatema Mernissi, „daß ich mich in Arabisch nicht wirklich frei ausdrücken kann. Wenn ich mich in meiner Muttersprache äußere, dann ist es so, als stehe ein Polizist neben mir. Deshalb gehöre ich zu denjenigen, die sich quasi selbst aus ihrer Muttersprache exiliert haben.“ Mann und Frau sind gleich

Bei ihren Studien hat die marokkanische Soziologin allerdings einen anderen Islam als den ihres Religionslehrers in der Koranschule entdeckt.: „Wenn jemand wirklich zum Islam zurück will, wie er praktiziert wurde zu Lebzeiten Mohammeds, also in den Jahren zwischen 622 und 632, dann muß er sich auch zur Gleichheit aller Muslime bekennen. Wie sah es denn aus, bevor Mohammed in Mekka inspiriert wurde. Frauen wurden wie Vieh gehalten, sie waren Objekte, die man zum Kauf anbot. Und in dieser Situation kommt jemand und sagt, „Wir sind alle gleich, es gibt keinen Unterschied zwischen Mann und Frau“. Ich muß sagen, das beeindruckt mich, ich mag diesen Mann. Das ist natürlich etwas romantisch, aber das ist eben meine muslimische Erinnerung an die Frühzeit des Islam.“

Ihre Forderung nach Trennung von Staat und Religion, nach einem freien aktiven und passiven Wahlrecht, einer aktiven Teilnahme der Frauen am öffentlichen Leben, Forderungen, die von den Fundamentalisten als Verwestlichung verteufelt werden, sieht Fatema Mernissi nicht im Widerspruch zur islamischen Tradition. Sie vergöttere den Westen nicht, weise seine Errungenschaften aber auch nicht total zurück. Die Vereinsamung und Isolation des Individuums in der westlichen Kultur, führe ihr aber vor Augen, daß der Weg des Westen keine tatsächliche Alternative für die islamische Welt sein kann. Wenn sie sich heute von der Formel „Islam gleich Gewalt und Terrorismus“ absetzt, dann vor allem um das kulturelle Erbe der islamischen Zivilisation zu schützen. Stolz auf den Islam

Im Festhalten am Islam sieht Fatema Mernissi die Möglichkeit, Wege für eine harmonische Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft zu finden. Für sie sind es besonders die Ideen der islamischen Mystik, des Sufismus, die diese Beziehung positiv beeinflussen können. Der Sufismus lehre nicht das Dogma, sondern stelle den vernunftbegabten Menschen in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. „Der islamische Sufi“, so die Autorin, „lebt nicht in der Abgeschlossenheit wie der westliche Mönch. Ibn Arabi, einer der größten Mystiker der islamischen Geschichte, hatte ein erfülltes Sexualleben, war ein phantastischer Poet, mischte sich in gesellschaftliche Fragen ein und zur gleichen Zeit war er ein Sufi. Ich mag diese Idee, seine menschliche Qualitäten zu entwickeln und dabei Spiritualität und Genuß nicht auszuschließen. Ich behaupte, daß der Islam mir die Möglichkeit gibt, die großen Fragen des Lebens zu reflektieren. Ja, dieser Meinung bin ich, ich bin darauf sogar stolz. Wenn Sie nun glauben, ich sei eine Fundamentalistin, so können Sie das ruhig tun. Doch ich denke, daß wir unser kulturelles Erbe davor schützen müssen, völlig vom Westen verschlungen zu werden.“

Ulrich Baringhorst

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen