„Vor ökologischem Kollaps“

Gemeinsame Erklärung von Umweltverbänden aus Ost und West anläßlich des Round-Table-Gespräches bei Bundesumweltminister Töpfer  ■ D O K U M E N T A T I O N

Die DDR steht unmittelbar vor dem ökologischen Kollaps. Es ist keine Zeit für Festreden. Die Wirtschafts- und Industriestrukturen, die das ökologische Desaster verursacht haben, sind nach wie vor vorhanden. Der amtierende DDR -Umweltminister Reichelt ist unserer Auffassung nach absolut unfähig, die Umweltprobleme der DDR zu lösen.

Wir befürchten, daß unter einem grünen Deckmantel durchgeführte sogenannte Wirtschaftshilfe umweltschädliche Industriestrukturen zementiert, daß Umweltschutzmaßnahmen als Alibi und Vorwand für profitorientierte Expansion von West-Unternehmen in der DDR mißbraucht werden. Notwendig ist eine ökologische Modernisierung der DDR-Wirtschaft. Umweltschutz-Hilfemaßnahmen dürfen nicht darauf beschränkt werden, einen großen Filter an die bestehende DDR-Industrie hinten dranzuhängen.

Die Bundesrepublik Deutschland steht in der Verantwortung denn schließlich ist sie die Quelle vieler Umweltprobleme im anderen Teil Deutschlands (siehe Haus- und Sondermüllexport). Sie ist auch so sauber, weil die DDR so schmutzig ist. Wir fordern deshalb von der Bundesregierung folgende Sofortmaßnahmen:

-Die gleichberechtigte Beteiligung von nichtstaatlichen Umweltverbänden aus Ost und West in einer deutsch-deutschen Umweltkommission,

-die definitive Zusage, daß für alle Projekte deutsch -deutscher Zusammenarbeit transparente Umweltverträglichkeitsprüfungen unter Beteiligung der Umweltverbände in Ost und West durchgeführt werden,

-die definitive Zusage zur Finanzierung einer soliden ökologischen Bestandsaufnahme in der DDR durch unabhängige Forschungsinstitute zur Unterstützung der regionalen Verwaltungen und Umweltgruppen, beginnend in den ökologischen Katastrophengebieten (z.B. Raum Bitterfeld),

-die definitive Zusage zur Durchführung und Finanzierung von deutsch-deutschen Konferenzen und Expertengesprächen zu aktuellen Umweltthemen unter Mitwirkung der Umweltverbände (Beispiele für Themen: Chemiepolitik, Energiepolitik, Abfallwirtschaft, ökologische Wirtschaftspolitik, Tourismus und Naturschutz). (...)

Die Finanzierung ist möglich durch eine Umdisponierung wesentlicher Anteile der Transitpauschale, die für 1990 noch vor der Wende in der DDR - auf jährlich 800 Millionen DM erhöht worden ist. Die Zusatzleistungen von 30 Millionen DM jährlich für einen neuen Grenzübergang in West-Berlin dürfte wohl in jedem Fall frei zur Verfügung stehen. Es kämen weitere 55 Millionen DM jährlich für die Straßenbenutzungspauschale der DDR hinzu, die ökologisch zweckorientiert eingesetzt werden sollten. Insgesamt werden für obengenannte Punkte stündlich 100.000 DM von der BRD an die DDR bezahlt, die jetzt für vordringliche ökologische Aufgaben eingesetzt werden müssen. Darüber hinaus kämen weitere einseitige Leistungen der BRD aufgrund der neuen Situation für eine neue Zweckbestimmung in Betracht (z.B. Gefangenenfreikauf).

Einzelne vordringliche umweltpolitische Aktionsfelder sind:

-Der sofortige Stopp der unverantwortlichen Gift- und Hausmüllexporte auf DDR-Deponien und gemeinsame Sanierung der bereits heute grundwasservergiftenden Westmüll-Deponien in der DDR bis 1995,

-die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission zur Aufklärung von Müll- und Devisenschiebereien, unter anderem zwischen der DDR-Firma Intrac, die der Schalck -Golodkowski-Mafia untersteht, und bundesdeutschen Firmen,

-die Entwicklung einer gemeinsamen, umweltfreundlichem Müllvermeidungs- und Verwertungsstrategie unter Einbeziehung der Umweltbewegung,

-die Ausarbeitung eines Energieeinsparungsprogramms, denn die DDR ist der größte Pro-Kopf-Energieverbraucher in Europa (50 Prozent der Energie kann eingespart werden),

-der Schutz und die Bewahrung von Naturflächen, die im Grenzgebiet erhalten geblieben sind - Stichwort: grüne deutsch-deutsche Grenze,

-die Entwicklung und Durchsetzung von gemeinsamen, deutsch -deutschen Konzepten eines sanften Tourismus,

-die Förderung einer neuen Agrarwirtschaft unter ökologischen Gesichtspunkten, Entwicklung von Modellen für ökologisch bewirtschaftete Gebiete,

-eine konsequente Entmilitarisierung zum Schutz von Natur und Landschaft und zur Freisetzung von Geldmitteln für Umweltprojekte.

Dies ist nur ein Ausschnitt der vielen dringenden Aufgaben. Wichtig für jedwede Aktivitäten ist eine Offenheit auf beiden Seiten. Dazu gehört insbesondere die lückenlose Veröffentlichung aller vorhandenen Umweltdaten in beiden deutschen Staaten und die Beteiligung der betroffenen Bevölkerung und der Umweltverbände.

Die kommunalen Einrichtungen und engagierten Gruppen in der DDR müssen personell und finanziell in die Lage versetzt werden, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen.