BGH hebt Freispruch im Fall Sare auf

Prozeß um den von einem Wasserwerfer getöteten Demonstranten wird noch einmal aufgerollt  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Karlsruhe (taz) - Das Urteil der Frankfurter Kammer im Fall des 1985 von einem Wasserwerfer (WaWe 9) überrollten und getöteten Demonstranten Günter Sare - Freisprüche für den Wasserwerferkommandanten Reichert und seinen Fahrer - weise entscheidende Lücken auf, meinte der Bundesgerichtshof, der gestern als Entscheidungsinstanz über die Revisionsanträge der Nebenkläger und auch der Staatsanwaltschaft in Frankfurt verhandelte. Das Urteil wurde aufgehoben.

So habe sich das Gericht 1987 weder mit den verkehrsrechtlichen Aspekten des Falles beschäftigt noch das Fehlen eines Beobachters im WaWe 9 entsprechend gewürdigt. Der Vorsitzende Richter am BGH: „Wir fischen im Nebel.“ So könne auch nach dem Frankfurter Urteil kein Mensch exakt sagen, ob die Fahrgeschwindigkeit des WaWe von 23 km/h angesichts der schlechten Fahrbahn- und Sichtverhältnisse nicht vielleicht doch zu hoch gewesen sei. Auch der lange Bremsweg von 20 Metern machte die Bundesrichter - im Gegensatz zum Frankfurter Gericht - stutzig.

Schließlich wurde Günther Sare am 28.9.85 erst von der Hinterachse des „ungeheueren Klotzes“ (BAW) überrollt. Deshalb stehe die Frage der mangelnden Sorgfaltspflicht der Besatzung weiter unbeantwortet im Raume. Der These des Frankfurter Gerichts, der sich die Bundesanwaltschaft anschloß und wonach die Kreuzung, auf der Sare starb, „frei“ gewesen sei, widersprach der BGH-Kammervorsitzende gleichfalls heftig. Nur wenige Sekunden zuvor sei immerhin auf dieser Kreuzung zumindest eine Person von einem WaWe bespritzt worden.

Zum Abschluß der Revisionsverhandlung bedauerte es WaWe -Kommandant Reichert „ausdrücklich“, daß damals „ein Mensch zu Tode gekommen ist“. Er selbst habe allerdings nicht fahrlässig gehandelt. Vorwürfe richtete Reichert an das Land Hessen und die Polizeiführung. Obgleich seit 1981 im Einsatz, habe es keine Dienstvorschriften für den Betrieb des WaWe 9 gegeben. So sei bis heute der für den Beobachter vorgesehene Sitz im WaWe leer geblieben. Im WaWe 9 habe der Kommandant nach wie vor alle Aufgaben bis hin zum Wassermischen selbst zu erledigen.

Die Frage, ob Günter Sare noch leben könnte, wenn auf dem Beobachterplatz tatächlich ein Beobachter und nicht ein Sanitäter gesessen hätte, stellte sich abschließend auch der BGH. Der Vorsitzende Richter in Karlsruhe kritisierte das Urteil des Frankfurter Landgerichts ungewöhnlich scharf: Der Ablauf des „Unfalls“ sei nur unzureichend rekonstruiert worden, und damit sei nichts Konkretes über die Vermeidbarkeit des Unglücks festgestellt worden.