„Grauer Engel, Wolfsengel“

■ Jelena Schwarz, Poetin aus Leningrad, war in Bremen

Donnerstagabend trat die laut Ankündigung „bedeutendste Leningrader Poetin“ Jelena Schwarz in der Forschungsstelle Osteuropa der Universität auf - ein wirklich publikumsunfreundlicher Ort, irgendwo zwischen Regalreihen.

Zusammen mit anderen sowjetischen sowie einigen west- und ostdeutschen Dichtern befindet sich die 41-jährige auf einer Tour durch die BRD, ausgehend von den 4. Essener Literaturtagen des Folkwang Museums.

Bisher hatte Jelena Schwarz ihren Heimatort Leningrad noch nie verlassen. Sie lebt an dem Ort, wo sie schon als Kind lebte - als Leningrader „Cockney“, wie es in einem Prosatext heißt - zwischen einer Knochenmehlfabrik

und einem verfallenen Friedhof der Sekte der Altgläubigen.

Vielleicht, weil sie sich so wenig von der Stelle rührte, spielt sie in ihrem Herzen und in ihren Gedichten mit so vielen Kulturen, Zeiten und Ländern, den Hl. Franziskus westlich und den Dalai Lama östlich zur Seite. Eingedenk ihrer jüdischen, ukrainischen und tatarischen Vorfahren mischt sie Motive aus der Kabbala, der Orthodoxie und dem Schamanismus auf dem Wege ihrer heftigen Gottessuche. Die Gedichte erotisch-religiösen Inhalts sind in dem Band vereint: „Werke und Tage der Lavinia, einer Nonne aus dem Orden der Beschneidung des Herzens“. Diese Nonne unterhält recht unchrist

liche Beziehungen zu alten Gottheiten und zur sibirischen Tierwelt. Wolf und Bär kommunizieren mit ihr, beschützen und vertreten sie.

Ihre Bilderwelt ist ausgefallen (vielleicht nur für deutsche Ohren) und alten Zeiten verbunden, da berührt es unangenehm, wenn in der Übersetzung ein Wort wie „midlife crisis“ auftaucht. Der russische Symbolismus der Jahrhundertwende und Zinaida Hippius sind ihre Tradition.

In der UdSSR ist erst 1989 ein dünnes Bändchen von ihr erschienen, drei Bücher in der USA. Es scheint, daß Wolfgang Schlott von der Forschungsstelle Osteuropa mit anderen an einer Übersetzung arbeitet. Klemens Alf