: Tugendwächter gegen Schultheiss-Berliner
■ Vor 40 Jahren wurde die Polizeistunde von den Alliierten abgeschafft / Wegen Rechtseinheit mit dem Bund kam sie 1971 wieder / Was viele nicht wissen: Seitdem besteht eine Sperrstunde von fünf bis sechs Uhr am Morgen / Sperrstunde als Allheilmittel gegen Alkoholmißbrauch und Kriminalität
Hitler war so tot wie das deutsche Reich kaputt. Von nun an erklärten die Alliierten dem Volk, wozu es in Zukunft bestimmt war. Nachdem sie die Reichshauptstadt erst zerlegt, dann aufgeteilt hatten, versuchten sie schnellstens des Deutschen liebste Tugend in den Laden zu bringen. Ordnung mußte her. Eine Anweisung jagte die andere.
Im September 1947 wurde auf Befehl der alliierten Kommandatur die Polizeistunde für Gast- und Schankwirtschaften einheitlich auf 22 Uhr festgesetzt. Da die Berliner ihre Nächte nicht mehr in Luftschutzkellern verbringen mußten, sehnten sie sich nach Zapfhähnen, die auch nachts Trost im harten Verliereralltag spendeten. Deswegen gab es in der Ex-Weltstadt vieleGegner der Sperrstunde. Dafür waren nur Kräfte, die glaubten, daß eine Verlängerung der Schankzeit nur den „Schiebern und Arbeitsscheuen“ zugute käme. Oder diejenigen, die meinten, in den Kneipen gäbe es eh nur „Dünnbier und Selters“.
Dabei gab es viel praktischere Argumente gegen die Sperrstunde. Aufgrund der desolaten Wohnverhältnisse und der Stromsperren waren die meisten zum Beispiel bei Familienfeiern auf Lokale angewiesen. Dann die Jugend, der schon wieder zum Tanzen zumute war. Die zog lange Gesichter, wenn die Tanzkapelle Viertel vor zehn den „Rausschmeißer“ anspielte und der Kellner anfing, die Tische abzuräumen. Außerdem galt in ganz Restdeutschland als Polizeistunde 24 Uhr.
Interventionen des Polizeipräsidenten Dr.Stumm bei den Alliierten blieben aber erfolglos. Nur das Oberhaupt des französischen Sektors, General Ganeval, befahl die Herauszögerung auf 23 Uhr. Am Bahnhof Zoo gab es eine Sonderkonzessionierung nur für vier Lokale. Der Bedarf nach Schankfreiheit war aber viel größer: Allein im Dezember 1948 wurden 12.000 Anträge auf Ausnahmeregelung gezählt. Natürlich konnte, wer Geld und Durst hatte, auch nach 22 Uhr die nötige Bettschwere erreichen. Schon damals gab es sogenannte unkontrollierte Vergnügungsstätten, im Volksmund auch „Flüsterkneipen“ genannt. In den Ruinenhäusern wurden „private Parties“ organisiert.
Am 21.Mai 1949 gaben die Alliierten nach und setzten die Sperrstunde auf 24 Uhr fest. Damit hatten sie das Faß angestochen, nun forderten die Berliner die ganze Nacht. Unter Anführung des damaligen und heutigen Oberkneipiers Zellermayer erreichten sie die völlige Abschaffung der Polizeistunde am 15. Dezember 1949. Das Geschäft mit der Nacht blühte auf.
Schon Mitte der fünfziger Jahre standen die nächsten Tugendwächter auf der Matte. Gesundheitssenator Schmiljan beklagte den „erheblich angestiegenen Alkoholmißbrauch in der Stadt“. Bekämpfen wollte er ihn mit verbilligten Softdrinks, der Einrichtung einer Trinkerheilanstalt und natürlich der Wiedereinführung einer Polizeistunde. Doch daß der Staat, schlechtester Bekämpfer, weil erster Verursacher, des Alkoholmißbrauchs ist, leuchtete damals schon vielen ein. Auch die Polizei wollte nicht als „Biertopfgucker“ kontrollierend durch die Kneipen ziehen. Die Kneipiers gaben zu verstehen, daß, wer dem Alkohol nicht widerstehen könne, „auch am Tag ausreichend Gelegenheit hat, sich vollaufen zu lassen“. Der erste Anschlag auf die lange Nacht war abgewehrt.
Zur Sicherung des Friedens wurden die Westberliner am 13.August 1961 bekanntlich eingemauert. Damit war Berlin zwar ringsrum geschlossen, aber immer noch durchgehend geöffnet. Nur in „Russisch-Berlin“ mußten fortan die volkseigenen Mollen bis Null Uhr gezischt werden. Doch schon 1967 sollte im Westteil die Moral wieder mit Gewalt hochgehalten werden. Ursache war eine Studie der „Rowdy -Kommission“ des Senats über die Halb- und Unterwelt der Stadt, deren zunehmenden Aktivitäten angeblich in engem Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum stehen sollten. Um der Kriminalität die „geistige Grundlage“ zu entziehen, sollte die Sperrstunde wiedereingeführt werden - Ausnahmen nur dann, „wenn der Betreiber eines Amüsierbetriebes für Sittenstrenge in seinen Räumen sorgt“. So fürchtete die 'BZ‘ dann auch: „Ku'damm wird Kuhdorf“. Der Regierende Pastor von damals, Heinrich Albertz, dachte genauso. Aber in Bonn wurde gerade ein neues Gaststättengesetz entworfen. Die Rechtseinheit mit dem Bund, von dem Berlin jeden Mist automatisch übernimmt, warf seine Schatten.
Im Mai 1971 trat das Gesetz bundesweit in Kraft. Innensenator Neubauer kündigte an, daß nun auch West-Berlin die Sperrstunde schlage. Der Schulli-Berliner befürchtete Schlimmstes: „Todesurteil für die Stadt“, „Berlin wird wie Wessi-Land“, „Schlimmer wie in Pollkwitz“ (?). Auch die Geschäftsreisenden waren alarmiert und ängstigten sich um die Gelegenheit, „einmal eine Frontstadtmieze mit Champagner flachlegen“ zu können. Vergebens. Berlin gehört dem Bund und nicht der Straße. Seitdem gilt in Berlin offiziell als Polizeistunde die Zeit zwischen fünf und sechs Uhr morgens.
Torsten Preuß
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