129-Millionen-Luxushotel in Potsdamer Altstadt?

■ Westberliner Holding will historisches „Klein-Amsterdam“ aushöhlen und mit Swimmingpool, Heimwerkermarkt, Golfplatz und Parkhaus füllen

Leere Häuser und Wohnungen. Rostende Emailleschilder zeugen von ehemaligen Läden und Handwerkern. Zerstörte Fenster, offene Haustüren, bröckelnder Putz, fehlende Dachziegel. Wind und Wetter, Frost und Nässe dringen in die Häuser. Wertvolle Kachelöfen und alte Treppengeländer sind demontiert oder zerstört. Bewohner erregen sich über Rollkommandos, die vorfahren, in Häuser eindringen, Dächer abdecken, Zinkbleche rausreißen. Ein Kiez stirbt. Kreuzberg im Dezember 1980. Abriß für Neubau, lautete das vorbestimmte Schicksal für die Häuser, ihre Bewohner und den Stadtteil. Vollstrecker war der vom Berliner Senat beauftragte private Sanierungsträger SAMOG (Volksmund: Saumog), eine Tochterfirma der Hauert-&-Noack-Gruppe, im Westberliner Abschreibungsgeschäft eine berühmt-berüchtigte Größe.

Potsdam im Dezember 1989, Holländisches Viertel. Entvölkerte Häuserzeilen, gähnende Fensterhöhlen, aus dem Rahmen fallende Türen, abgedeckte Dächer, wuchernder Hausschwamm. Die immer noch imposante fremdländische Architektur, der bekannteste, vielleicht bedeutendste städtebauliche Komplex des alten Potsdam, auf Befehl Friedrich Wilhelms I. (1733-42) für angeworbene niederländische Künstler und Handwerker angelegt, beeindruckt heute vor allem durch seinen Verfall. Das Versagen sozialistischer Gebäudewirtschaft offenbart sich. Die Erneuerung des alten Potsdam hält mit dem Verfall und dem Entmietungsprogramm nicht mit, erklärt Christian Wendland, Architekt des VEB Gebäudewirtschaft. Mehr als drei Häuser pro Jahr seien mit den vorhandenen Kapazitäten kaum zu rekonstruieren. Über 40 der kleinen, einst knallroten Rohziegelbauten, die an einigen Ecken des Viertels noch vollendet mit ihren weiß-grünen Fenstern, Läden und Portalen kontrastieren, stehen leer.

Der zögerliche Baufortschritt hat aber noch einen anderen Grund: Seit Frühjahr 1989 interessiert sich die Westberliner WITOSA-Holding für das „Klein-Amsterdam“ des Soldatenkönigs. Beherrschender Gesellschafter ist der Steuerberater - eben jener Hauert-&-Noack-Gruppe, Dr. Winfried Elm. Geplant ist ein Hotel- und Kongreßzentrum mitten im Viertel, im dritten Quartier. 226 Hotelzimmer mit 460 Betten und Tagungsräume für 570 Kongreßteilnehmer sollen in dem Karree untergebracht, der Block von jeglicher historischer Bausubstanz entkernt werden. Nur die Straßenfassaden würden stehenbleiben. Ein Expose der WITOSA spricht blumig von einer „spannungsreichen Beziehung“ der Hotelarchitektur „zu den Gebäuden des Holländischen Viertels“.

Spannungsreich sind seit einigen Tagen die in Potsdam zwischen Bürgern, die sich im Neuen Forum und in der Bürgerinitiative „Argus“ zusammenschlossen, und den politisch Verantwortlichen im Rat der Stadt und des Bezirks geführten Diskussionen. Wie bis vor kurzem nicht anders denkbar, finden die Verhandlungen über das „Projekt Potsdam“ mit der WITOSA streng vertraulich hinter verschlossenen Türen statt. Eine umfassende Information des Rats der Stadt Potsdam, geschweige denn der Öffentlichkeit, wird verweigert. Nur Einzelheiten sickern durch. Etwa, daß ein Agent der WITOSA aus Stahnsdorf, ein DDR-Bürger namens Hilbig, den Kontakt vor einem knappen Jahr hergestellt haben soll. Aus Kreisen der BI Argus ist zu hören, daß eine Firma aus dem Imperium des ehemaligen Staatsekretärs Schalck -Golodkowski hinter dem Deal stecke. „Unsere Mafia versteht sich eben auf Anhieb bestens mit eurer Baumafia im Westen“, schimpft ein Potsdamer Tischler, dem vor Wochen bereits eines der leerstehenden Häuser zur Erneuerung in privater Selbsthilfe von Stadtbaudirektor Eichler zugesagt worden war - der aber bislang vergeblich auf einen Vertrag drängte. Nach Bekanntwerden des Hotelprojektes glaubt er zu wissen, warum man ihn ständig hinhält und vertröstet. Die Dimension der WITOSA-Pläne läßt den Tischler und die BI Argus jedenfalls beste Beziehungen zu führenden SED-Managern vermuten. Neben dem Hotel- und Kongreßkomplex sind ein Parkhaus für 150 Stellplätze und 1.200 Quadrat meter Gewerbefläche auf einem Fortsetzung auf Seite 30

FORTSETZUNG VON SEITE 29

Kinderspielplatz vis a vis des Viertels vorgesehen. Der Spielplatz soll auf das Dach der Betonburg verlegt werden. Im historischen Babelsberger Park sollen zudem ein 80 Hektar großer Golfplatz und Reitsportanlagen geschaffen werden. Das ehemalige Babelsberger Strandschlößchen soll für ein sogenanntes Klubhaus mit Sauna, Schwimmbad, Solarien, Tennisplätzen und ein Restaurant herhalten. „Ein hotelnahes und anspruchsvolles Freizeitangebot beeinflußt erheblich die Attraktivität eines Hotels und damit auch die Wirtschaftlichkeit infolge höherer Auslastung und Belegung“, begründete dies WITOSA. Für die betroffenen Bewohner will die Holding Ersatzwohnungen in der alten Innenstadt schaffen. Die zu verdrängenden Gewerbebetriebe sollen in Neubauten im Industriekomplex Potsdam umgesetzt werden. An Wohnungsneubauten für die im Hotelkomplex Beschäftigten ist ebenfalls gedacht. Ökonomisch abgerundet werden die Pläne durch einen in Drewitz geplanten Heimwerkermarkt, für den die WITOSA neben der Errichtung ein Exklusivrecht für die Warenbelieferung anstrebt. „Die Umsatzerwartungen für einen solchen Heimwerkermarkt liegen bei rund 50 Millionen Valuta -Mark jährlich“, schreibt die WITOSA in ihrem Expose.

Auf insgesamt 129 Millionen D-Mark schätzt WITOSA die Gesamtkosten - verblüffend niedrig. 7 Millionen kalkuliert sie etwa für das Schwimmbad, die Sauna, Tennisplätze, Restaurant sowie die Restaurierung des Marstalls in Babelsberg. Doch an Baufirmen aus der DDR wird nach Auskunft aus der Potsdamer Stadtverwaltung dabei nicht gedacht. Die sind ohnehin schon völlig überlastet. Wie „Westfirmen“ für 129 Millionen die insgesamt neun Projekte errichten sollen ob das WITOSA-Angebot also seriös ist -, erscheint Westberliner Bauexperten zumindest zweifelhaft. Das Risiko des WITOSA-Gründers, Dr. Elm, ist dennoch gering. Seine Holding weist ein Kapital von nur 100.000 DM auf. Das Risiko Potsdams scheint größer. Nicht nur, was den Verlust eines Stadt-, Architektur- und kunsthistorischen Kleinods anbetrifft. Beim Neuen Forum in Potsdam kursiert das Gerücht, für ein Scheitern des Projektes habe die WITOSA schon jetzt Schadensersatzforderungen in Höhe von zwei Millionen DM angedroht.

Volker Härtig