„Die einmalige Chance wurde sehenden Auges verspielt“

■ Der Berliner Anwalt und AL-Politiker Hans Christian Ströbele beklagt die Versäumnisse der Behörden während und nach dem letzten Hungerstreik der RAF-Gefangenen / Nach dem Anschlag gegen den Deutsche-Bank-Chef Herrhausen scheint die Zusammenlegung der Gefangenenen weiter weg denn je

taz: Herr Ströbele, es gibt einen Streit darüber, ob es einen Zusammenhang zwischen dem gescheiterten Hungerstreik und dem Anschlag auf den Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, gibt. Konkret: War Herrhausen die Quittung für die harte Haltung des Staates während des Hungerstreikes?

Christian Ströbele: Das ist Spekulation. Offensichtlich falsch ist aber die gleich zu Anfang verbreitete Version, daß dieser Anschlag etwas mit dem Pohl-Brief zu tun haben soll. Das ist schon aus rein zeitlichen Gründen nicht möglich. Ob andere Zusammenhänge bestehen, das weiß ich nicht.

Der Brief von Helmut Pohl sollte den Schlußstrich unter den Hungerstreik ziehen und die Initiative an das politische Umfeld zurückgeben. Die direkte „Zellensteuerung“ behaupten bei diesem Attentat auch die Sicherheitsbehörden nicht. Gesagt wird vielmehr, es habe schon vorher ein Signal nach außen gegeben. In dem Sinn, „ihr könnt wieder draußen Politik nach eurem Gusto machen, auch bewaffnete Politik“.

Ich glaube nicht, daß jemand anderes das authentisch beantworten kann, als die Leute, die den Anschlag ausgeführt haben. In die Briefe der RAF-Gefangenen ist schon immer sehr viel hineingeheimnist worden. Aus früheren Erfahrungen weiß ich, daß all diese Interpretationen keinen Hintergrund hatten.

Die Forderung nach der Zusammenlegung war mit dem Abbruch des Hungerstreiks nicht zu Ende. Auch danach hat es Versuche gegeben, zumindest zu einer Zusammenlegung in Kleingruppen zu kommen. Als Vermittler war unter anderem die evangelische Kirche beteiligt. Wie realistisch waren die Bemühungen?

Die beteiligten Behörden - das waren die Justizministerien und die Staatsanwaltschaften - haben immer wieder den Eindruck vermittelt, daß bei einer Beendigung des Hungerstreiks die begründete Hoffnung auch auf ein Eingehen auf die wesentlichen Forderungen des Hungerstreikes besteht. Der Abbruch war die Bedingung, daß Bewegung in die starre Haltung der CDU-regierten Bundesländer kommt. Danach müsse eine gewisse Zeit vergehen, ein oder zwei Monate - dann wäre vieles möglich. Auch wenn keine konkreten Personen oder Orte für eine Zusammenlegung genannt wurden, war doch alles dafür vorbereitet. Es ging aber ein um den anderen Monat ins Land, ohne daß etwas geschah. Bei den ersten Anläufen hieß es, es ist noch zu früh. Später wurde auf irgendwelche Zusammenkünfte der Justizstaatssekretäre verwiesen. Die SPD -regierten Länder und der Berliner Senat signalisierten immer wieder, daß es Fortschritte geben werde. Die Gefangenen waren skeptisch, haben aber trotzdem nichts getan, was diese Zusammenlegung hätte in Frage stellen können. Im Ergebnis ist aber das Gegenteil eingetreten. Es hat eine ganze Reihe von Verschärfungen bei den Haftbedingungen gegeben, wie zum Beispiel in Celle. Dort wurden eine ganze Reihe von Kommunikationsmöglichkeiten, die während des Hungerstreikes eingeführt worden waren, rückgängig gemacht.

In Berlin hat es in diesem Sommer noch einmal den Vorschlag für eine „Männergruppe“ gegeben. Woran ist sie letztlich gescheitert?

Zunächst: Der Berliner Senat hat getan, was ohne die anderen Bundesländer möglich war. Angelika Goder ist zur ärztliche Behandlung entlassen worden, und Gabriele Rollnick wurde entsprechend ihrem Wunsch nach Lübeck in die dort bestehende Kleingruppe verlegt. Es gab weiter die Bereitschaft des Senates und der Berliner Justizsenatorin, hier eine „Männergruppe“ einzurichten. Streit gab und gibt es nur über die Größe, und der ist praktisch bis heute ohne Bedeutung, weil kein einziger Gefangener nach Berlin verlegt wurde. Die Bundesländer, die auf die Berliner Bereitschaft hätten reagieren können, haben sich stur gestellt. Im Sommer sind dann von allen Gefangenen Anträge auf Verlegung gestellt worden. Aber alle Anträge wurden abgelehnt. Soweit ich weiß, gab es nie feste oder schriftliche Zusagen der CDU -Bundesländer, nur unterschiedliche „Inaussichtstellungen“. Es wurde aber die Hoffnung erweckt, daß eine Zusammenlegung möglich ist.

Im Sommer war der Eindruck weit verbreitet, daß die Gefangenen sich vielleicht zum ersten Mal vom Dogma des bewaffneten Kampfes lösen könnten. Ist der Rückfall in die Terminologie der frühen achtziger Jahre in dem Pohl-Brief darauf zurückzuführen, daß nach dem Hungerstreik die in Aussicht gestellten Hafterleichterungen ausblieben?

Die Erklärungen während des Hungerstreikes sind für mein Gefühl überinterpretiert worden. Von den Gefangenen war sehr ernst gemeint, daß sie in eine Diskussion und in einen Dialog mit Personen und Gruppen draußen eintreten wollten. Aber ohne Absage an den bewaffneten Kampf als Vorbedingung. Sie haben erklärt, daß sie ihre politischen Überzeugungen diskutieren, und neu bestimmen wollten. Die Gesprächsbereitschaft der Gefangenen wurde trotzdem immer nur in die Richtung interpretiert: Die wollen den bewaffneten Kampf nicht mehr, die haben Zweifel. Nun müsse man nur noch ein bißchen diskutieren und dann ist er zu Ende. So war es sicherlich nicht. Damit muß man leben. Für eine politische Gruppe, die so festgelegt und in einer gewissen Weise dogmatisch ist, ist es natürlich schon eine ganz große Anstrengung zu sagen, „wir diskutieren mit offenem Ende“.

Dennoch haben im Sommer die Sicherheitsbehörden vom Verfassungsschutz bis zur Bundesanwaltschaft offenbar auf eine Absage an den bewaffneten Kampf spekuliert.

Man muß bei den Äußerungen von Rebmann und denen, die aus dem Bereich des Verfassungsschutzes kommen, ungeheuer vorsichtig sein. Ich habe in den letzten 20 Jahren immer wieder erlebt, daß trotz des vermeintlichen Informationsvorsprunges - und da muß man immer fragen, wo er herkommt - sich die Analysen nie durch eine besondere Schärfe ausgezeichnet haben. Der Verfassungsschutz arbeitet heute noch, und das gilt gerade für die Zeit des Hungerstreikes, gezielt mit Desinformationen. Z.B. das berühmte Telefon beim Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz. Angeblich haben sich dort schon viele gemeldet, die bereit sind, sich den sanften Händen des Amtes anzuvertrauen. Ich habe schon immer gesagt, die Einrichtung des Telefons ist eine Konsequenz der fehlgeschlagenen Fahndungsmethoden. Auch das RAF-Telefon ist offensichtlich nicht erfolgreich.

Die entscheidende Frage ist doch, ob es im Sommer diese „offene Situation“ wirklich gegeben hat, und ob die Strafverfolgungsbehörden diese Chance durch ihre unnachgiebige Haltung verspielt haben.

Es gab die, vielleicht sogar einmalige Chace, einen politischen Dialog anzufangen, der Bewegung in die verhärteten Fronten gebracht hätte. Diese Chance ist sehenden Auges von den Hardlinern, zum Teil sogar gezielt, verspielt worden. Ich hatte von CDU-regierten Ländern den Eindruck, daß sie eine Zuspitzung der Situation mit einem Seitenblick auf ihre Wählerverluste am rechten Rand sogar wollten.

Für Helmut Pohl gab es offenbar einen Zeitpunkt, ab dem ihm klar war: Da läuft nichts mehr.

Es gab wohl einen solchen Punkt. Aber noch Anfang Oktober gab es Äußerungen, daß es auf Bundesebene weiterhin Gespräche gebe und Versuche unternommen werden sollten, die Haltung der CDU-Länder doch noch aufzubrechen. Es hing ja allein an den CDU-Ländern. Die SPD-Länder waren allein nicht in der Lage, mit den Gefangenen in ihren Bundesländern größere Gruppen einzurichten. Dabei will ich aber nicht beiseite schieben, daß auch die Haltung der SPD-Länder ein Zustandekommen des Diskussionsprozesses mit den Gefangenen bis zuletzt unmöglich gemacht hat.

Allgemein ist es immer noch herrschende Ideologie, daß die Gefangenen durch mehr oder weniger verborgene und verdeckte Isolation zur Raison und zum Umdenken gebracht werden sollen. Wenn man sich mit den Verantwortlichen darüber unterhält, wird das auch offen zugegeben. Es kommt immer wieder das Argument: Unsere Strategie hat Erfolg gehabt. Den oder die haben wir kleingekriegt. Die sind fertig und haben sich distanziert. Das ist für mich der Beweis, daß die Strategie der Isolation dieses Ziel hat. Der Zusammenhang wird nicht nur gesehen, er wird gewollt.

Wie wird sich der Herrhausen-Anschlag konkret auswirken?

Die Gespräche über Zusammenlegung und über entscheidende Veränderungen der Haftbedingungen sind nicht nur schwieriger, sondern derzeit unmöglich geworden. Damit wird in den Gefängnissen ein Zustand konserviert, der bisher immer zur Verschärfung und Eskalation in allen Bereichen geführt hat. Ich bin sehr skeptisch, ob es im nächsten Jahr Verbesserungen der Haftbedingungen möglich sind.

Heißt das, daß man warten muß, bis sich eine Justizministerin wieder aus der Deckung wagt, oder wartet man schlicht auf den nächsten Hungerstreik?

Bei den Justizministern, an denen es hängt, habe ich keine Hoffnung. Wenn es nach den kommenden Wahlen möglicherweise Veränderungen in den Bundesländern gibt, zum Beispiel in Niedersachsen, muß mindestens versucht werden, neue Gespräche zu führen. Ob das erfolgreich sein wird, weiß ich nicht. Vielleicht wächst auch in den Bereichen auf Bundesebene, wo während des letzten Hungerstreikes wenigstens nachgedacht wurde, die Einsicht, daß mit größerem Nachdruck die Möglichkeiten ausschöpft werden müssen, die z.B. das Bonner Justizministerium und die ihm unterstellte Karlsruher Behörde haben.

Wenn man anerkennt, daß der Herrhausen-Anschlag etwas mit den Versäumnissen der Behörden während und nach dem Hungestreik zu tun hat, bleibt eigentlich nur, den Prozeß für eine Zusammenlegung jetzt sogar zu forcieren.

Das ist ganz richtig. Ich sehe nur diese Möglichkeit nicht. Eigentlich müßte man ununterbrochen rotieren, um in einem Viertel- oder einem halben Jahr das nachzuholen, was in den letzten Monaten versäumt wurde. Ich glaube aber nicht, daß es im kommenden Bundestagwahljahr dafür besondere Erfolgsaussichten gibt. Wenn ein weiterer Hungerstreik anfangen sollte, ist die Situation natürlich wieder so zu. Dann sagen wieder alle, in einer Erpressungssituation machen wir gar nichts.

Was wird aus dem Versuch der Gefangenen, mit relevanten gesellschaftlichen Gruppen in einen Diskussionprozeß zu kommen?

Ich kenne dazu keine neuen authentischen Äußerungen der Gefangenen. Ich denke aber, daß es ihnen damals mit dem Diskussionsprozeß untereinander und nach außen so ernst war, daß sich die grundsätzliche Bereitschaft nicht geändert hat.

Wenn den Forderungen der Gefangenen nachgegeben worden wäre, welche Konsequenzen können Sie sich ausmalen?

In Berlin gäbe es eine „Männergruppe“. Es hätte sehr viele Auseiandersetzungen, sehr viel Streß und sehr viel Streit gegeben. Insgesamt wäre die politische Situation einschießlich des letzten Anschlages nicht so, wie sie heute ist. Wir hätten - bei allen Problemen - einen sehr interessanten Diskussionsprozeß mit den Leuten in den Gefängnissen.

Das Gespräch führten Wolfgang Gast und Gerd Rosenkranz