Vom Bau zur Pflege

Der Preis für 40 Jahre US-Atomwaffenproduktion ist hoch / In Zukunft wird nicht mehr produziert, sondern gesäubert / Energieminister: „Kulturänderung“  ■  Aus Washington Silvia Sanides

„Wohin mit dem vielen Geld?“ fragte die amerikanische Fernsehkommentatorin in den Abendnachrichten nach dem Gipfel von Malta. „Wohin mit dem Geld, wenn wir unser Rüstungsbudget a la Gorbatschow einführen?“ Sie mahnte, die Fehler nicht zu wiederholen, die nach Ende des Vietnamkriegs gemacht worden seien. Damals wurden die dank schrumpfendem Rüstungsetat freiwerdenden Ressourcen ziemlich planlos verpraßt. Um dieses Problem macht sich Energieminister James Watkins dieser Tage bestimmt wenig Sorgen. Und das, obwohl sein Ministerium für die Herstellung sämtlicher atomarer Sprengköpfe des US-Arsenals verantwortlich ist. Das sind immerhin rund 1.500 bis 2.000 Sprengköpfe jährlich.

Watkins ist zur Zeit - wie schon oft in den vergangenen zwei Jahren - damit beschäftigt, seine Waffenproduktionsanlagen von Produktion auf Reinemachen umzuschalten. Vor zwei Wochen gab er bekannt, daß die Anlage von Rocky Flats, unweit von Denver (Bundesstaat Colorado), wo die Auslöser für alle amerikanischen Atomsprengköpfe gefertigt werden, auf unbestimmte Zeit abgeschaltet wird. Das könnte sich zwar „verheerend auf die atomare Abschreckung auswirken“, erklärte Watkins gegenüber der Presse, doch fügte er hinzu, „das berührt mich nicht. Ich lasse mich nur von Sicherheitsfragen beeinflußen.“ Und mit der Sicherheit für Gesundheit und Umwelt sieht es in Rocky Flats schlimm aus.

So viel Plutonium, dies ergab eine FBI-Razzia der Anlage diesen Sommer, verstopft die Entlüftungsschächte der Bombenfabrik, daß es zu einer spontanen Atomexplosion kommen könnte. Die Anlage und ihre Umgebung sind mit radioaktiven und anderen hochgiftigen Abfällen verseucht.

So gravierend sind die Probleme, entschied Watkins jetzt, daß Produktion und Säuberungsarbeiten nicht gleichzeitig stattfinden können. Überhaupt, verkündete der Herr der Atomwaffenherstellung weiterhin, werde in den 17 Waffenproduktionsanlagen eine „fundamentale Kulturänderung“ stattfinden. Nicht „Produktion, sondern Sicherheit“ soll zukünftig „erste Priorität“ sein.

Das sind keine leeren Versprechen. Aus dem Energieministerium sickerte Anfang Dezember die Nachricht, daß eine geplante Plutoniumproduktionsanlage, die auf modernster Isotopentrennung mittels Laserstrahl basiert, mit höchster Wahrscheinlichkeit dem Rotstift Watkins zum Opfer fallen wird. Auch die Begründung dafür erfuhr die Presse aus der anonymen Quelle im Ministerium: „Wir werden nur halb so viel Waffen produzieren müssen wie bisher erwartet“.

Angesichts der Watkinschen Kulturrevolution könnte es für die Waffenanlagen bald schwierig werden, selbst dieses Pensum zu erfüllen. Seit im August nämlich der letzte der vier Reaktoren der Savannah River Anlage (South Carolina) wegen Reparaturarbeiten geschlossen wurde, wird in den USA kein neues Waffenplutonium mehr hergestellt. Die Voraussetzungen für eine bilaterale Einstellung der Plutoniumproduktion, wie sie Gorbatschow den Amerikanern vorgeschlagen hat, könnten also kaum besser sein. Daß das Energieministerium alle ihm zustehenden Gelder für die Behebung von vierzig Jahren Schlamperei in den Waffenanlagen benötigen wird, bezweifelt niemand mehr.

Nicht nur bei der Betreuung der Waffenanlagen wurde vierzig Jahre lang im Namen der „nationalen Sicherheit“ geschlampt. Auch die Betreuung der Angestellten in den Anlagen ließ zu wünschen übrig. Und das kann sich in Zukunft noch drastischer als alles andere auf die Kasse des Energieministeriums auswirken. Ein Untersuchungsausschuß des Ministeriums empfahl am vergangenen Wochenende die Übergabe sämtlicher ministeriumsinterner medizinischer Unterlagen an unabhängige Wissenschaftler. Über vier Jahrzehnte lang gesammelte Daten über die Auswirkungen von radioaktiver Strahlung auf die menschliche Gesundheit sollen somit an die Öffentlichkeit kommen.

Allein 600.000 Personen hat das Energieministerium seit 1942 in seinen Produktionsanlagen eingestellt. An die 230.000 Soldaten waren bei den oberirdischen Atombombentests zugegen. Weitere etwa 500.000 Menschen leben bzw. lebten in der Nähe der verseuchten Produktionsanlagen, wurden vom „fallout“ der oberirdischen Tests verseucht oder waren bzw. sind im Rahmen der Waffenproduktion in Uranminen beschäftigt. Sie alle könnten Kompensationen einklagen, wenn sich mit Hilfe des Datenmaterials eventuelle Erkrankungen auf radioaktive Verseuchung zurückführen lassen.

Auch der zivilen Atomindustrie könnte dies teuer zu stehen kommen: Die Bewohner im Umkreis des Akws „Three Mile Island“, wo es vor zehn Jahren zu einem schweren Unfall kam, können es kaum erwarten, die Daten des Energieministeriums in die Hände zu bekommen.