HIV-Infizierte im Hungerstreik

■ Fünf Häftlinge der JVA Butzbach wollen mit ihrer Aktion auf die Situation in den Knästen aufmerksam machen / Aidskranke Gefangene erst kurz vor dem Tod aus dem Vollzug verlegt / Justizminister Koch kennt keine Gnade

Berlin (taz) - In der hessischen JVA Butzbach sind vier HIV -infizierte und ein aidskranker Häftling in den Hungerstreik getreten. Sie wollen mit ihrer Aktion auf die dramatische Situation in den Knästen aufmerksam machen, wo aidskranke Gefangene in der Regel erst unmittelbar vor ihrem Tod aus dem Vollzug verlegt werden. Der Hungerstreik ist die direkte Reaktion auf eine parlamentarische Initiative des grünen Landtagsabgeordneten von Plottnitz. Auf dessen Anfrage bestätigte der hessische Justizminister Koch, daß es für Häftlinge mit Aids keine Gnade gibt. „Eine Vollzugsuntauglichkeit kommt lediglich dann in Frage, wenn infolge der weiteren Vollstreckung eine nahe Lebensgefahr zu besorgen wäre“, erklärte der Minister wörtlich.

Der hessische Justizminister ist außerdem überzeugt, daß die bei Aids auftretenden schweren Infektionen und Krankheitsbilder „im Vollzug beherrschbar“ sind. Alles weitere, vor allem die Frage der Haftunfähigkeit, habe der Anstaltsarzt zu entscheiden. Der ist aber nach Ansicht der hungerstreikenden Häftlinge überfordert. Die fünf Butzbacher Häftlinge weisen auf zwei Todesfälle in den JVAs Darmstadt und Butzbach hin, bei denen die Anstaltsärzte viel zu spät reagiert hätten. In den beiden Fällen seien die Sterbenden erst in letzter Minute vor die Tore der Anstalt verlegt worden. „Das qualvolle Sterbenlassen eines Menschen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, seine ureigenesten Probleme, z.B. familiärer Art, zu klären und ohne Chance, die ihm nahestehenden Personen in seiner letzten Minute bei sich zu haben, läßt sich durch keinen Grund rechtfertigen“, schreiben die Hungerstreikenden.

Die Deutsche Aids-Hilfe und die Aids-Hilfe Gießen haben die beiden Todesfälle von aidskranken Häftlingen ohne vorherige Haftverschonung bestätigt. Die Aids-Hilfe Gießen weist zudem auf den nicht kalkulierbaren Verlauf der Aids-Erkrankung hin. Der Vollzug sei zur frühzeitigen Erkennung und ausreichenden Behandlung der komplexen Erkrankung nicht in der Lage. Nach derzeitiger Rechtslage habe aber kein infizierter oder aidskranker Häftling einen Anspruch auf medizinische Behandlung außerhalb des Vollzugs. Auch die übrigen Haftbedingungen, wie die Unterbringung in Einzelzellen, schlechte Ernährung und die mangelnde psycho -soziale Versorgung hätten erhebliche Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf und würden die ohnehin begrenzte Lebenserwartung nochmals verringern.

Schwierigkeiten in den Knästen gibt es außerdem durch die langen Bearbeitungszeiten für Anträge auf Aussetzung der Vollstreckung. Die Aids-Hilfe Gießen nennt einen Zeitraum von „einem halben Jahr und länger“, bis solche Anträge beschieden werden.

Manfred Kriener