Ein runder Tisch für Berlin

■ Zur Unfähigkeit der regierenden Parteien, unter neuen Verhältnissen Politik zu machen

Koalitionskrise ist in Berlin ein abgenutzter Begriff. Seit sich im Frühjahr die rot-grüne Regierung konstituiert hat, wurde häufig über den Knall spekuliert, und namentlich einzelne Protagonisten der Alternativen Liste sind schnell bei der Hand mit Kassandrarufen. Ob die Krise eine ernsthafte ist, vermag in diesen bewegten Zeiten in der ehemals eingemauerten Halbstadt keiner zu sagen. Vermutlich wird die Abschaffung von Visumpflicht und Zwangsumtausch die Krisengefühle erst mal wieder mit den Massen gen Osten schwemmen. Berlin, geographisch mitten in der DDR gelegen, wird auch politisch in den Strudel der Erneuerung gezogen.

Aber - und in diesem Sinne ist sie ernst zu nehmen - die derzeitige Situation spiegelt die Unfähigkeit der Parteien wider, miteinander Politik zu machen. Die Veränderungen, die derzeit die Stadt erschüttern, treffen auf ein wackeliges, poröses Koalitionsgefüge und ein konzeptionelles Vakuum. Denn bislang ist es SPD und AL nicht geglückt, den Geist von Rot-Grün in der Stadt zu verbreiten. Die Koalition hat sich im Ringen um Einzelprojekte zweifelhaft profiliert. Einen Entwurf dessen, was eine neue Stadtpolitik jenseits von Busspuren und Umweltkarte bedeuten könnte, ist sie den Wählern schuldig geblieben.

In der Alternativen Liste sind es mehr denn je die Lobbyisten und Verlierer, die den politischen Stil und das Klima bestimmen. Wenn diese jetzt wegen Stromtrasse und Kitastreik die Koalitionskrise ausrufen, führen sie die Partei in einen Streit, den sie nicht gewinnen kann. Im rituellen Lamentieren über uneingelöste Forderungen aus Oppositionszeiten und in berechtigtem Ärger über die Betonköpfe in der SPD ist die Partei offenbar bereit, den Sozialdemokraten die Macht in der Stadt zu Füßen zu legen.

Die Drohung der AL, die Koalitionsfrage zu stellen, ist kein Druckmittel. Sie trifft auf eine SPD, die derzeit so größenwahnsinnig ist, daß sie glaubt, nach Neuwahlen mit der absoluten Mehrheit Triumphe feiern zu können. Welch ein Trugschluß! Denn die Sturmflut aus der DDR treibt lediglich den Regierenden Bürgermeister Momper nach oben. Seine Popularität und fieberhafte Aktivität lenken ab von der programmatischen Schwäche der Berliner Sozialdemokratie. Die Fraktion kuscht und schweigt, und der Unmut über Mompers Alleingänge wird runtergeschluckt.

Die phantastische Situation in Berlin könnte auch für rot -grüne Politik belebend sein. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die AL-Basis ist gelähmt, und die SPD starrt auf Momper. Jetzt ist wie nie zuvor die sogenannte unorganisierte Linke der Stadt gefordert. Nicht die Interessengruppen, denn dies ist nicht die Stunde der Kleingeister. Der Blick in den Osten weist einen Weg - den runden Tisch. Thema: Rot-grüne Stadtpolitik für ganz Berlin. Es gibt viel zu tun. Im Westen.

Brigitte Fehrle