LOCKENDE LUFTBEFEUCHTER

■ Die Kultursenatorin hörte in Sachen deutsch-deutscher Kulturaustausch

Ja, auch wir müssen jetzt umlernen: Wir müssen z.B. lernen, daß das mit der „multikulturellen Gesellschaft“, die vor wenigen Monaten erfunden wurde, gar nicht mehr zum kulturellen Standard der letzten Jahrzehntwochen gehört. Wir sollten uns ferner hüten, in nächster Zeit den nun wirklich völlig veralteten Begriff „dezentral“ noch einmal öffentlich in den Mund zu nehmen, schließlich haben wir daran jetzt lange genug herumdefiniert. Und was nun wirklich völlig daneben ist: Frauen. Nein, wir wollen nie mehr von „Frauenkultur“ reden.

Statt dessen wollen wir uns, die wir besoffen in der Alkoholfahne der Geschichte stehen und folglich endlich die „Nationalkultur“ wiederentdeckt haben, doch ein paar todschicke neue Vokabeln (um nicht zu sagen: Konzepte) aneignen, und zwar indem wir dem CDU-Fraktionär und angeblichen christlichen Linksflügler Uwe Lehmann-Brauns einfach nachsprechen: „Mitteldeutsche Schriftsteller“ mögen so fortan nicht nur Braunsens, sondern unser aller Bücherregale zieren, wir werden mit ihm vom „Ost-Sektor“ sprechen und auf den Zwischenruf „Sie meinen wohl die Hauptstadt“ völlig versunken ins friedliche, vorweihnachtliche Spiel mit Opa Adenauers kaltem Kriegsgerät zurückfragen: „Wessen Hauptstadt?“

Dies und noch viel mehr konnten wir am Sonntag im Kinosaal des Martin-Gropius-Baus lernen. Dorthin hatte Kultursenatorin Anke Martiny Vertreter (weniger Vertreterinnen) der kulturellen Institutionen der West-Stadt geladen, auf daß mann ihr sagen möge, wo's zukünftig lang geht im deutsch-deutschen Kulturaustausch. Das Motto hieß wie schon so oft bei ähnlichen Events: „Grenzüberschreitungen“. Plus: „Der deutsch-deutsche Kulturaustausch vor neuen Aufgaben“, wobei Martiny vor allem wissen wollte, wo im nächsten Jahr die finanziellen Prioritäten gesetzt werden sollen.

Nachdem die Senatorin in elegantestem Volker-Rühe-Deutsch zunächst den „Einsturz der ideologischen Mauern des Weltkommunismus“ posaunt hatte, stellte sie auch für uns eine ideologische Abrüstung in Aussicht, obwohl doch schon im nächsten Absatz ihres Eingangsreferates der nächste Verteidigungsfall drohte: „Sich zu Europa äußern heißt, sich zur Nation äußern“, ließ Martiny wissen. Und unter Berufung auf die 48er Quasi-Revolution hob sie schnell noch das Fortschrittliche an der nationalen Einigung im letzten Jahrhundert hervor, die ja ganz prima gewesen wäre, hätte es da nicht diese dumme preußische Hegemonialmacht gegeben, die wir ja jetzt gar nicht mehr zu fürchten brauchen, und hätte es eine übergeordnete Zielidee, respektive eine „philosophisch-ideologische Orientierung, die das Ganze zusammen hält“ gegeben, die wir ja gerade an diesem Sonntag finden wollten - mit einem Wort: Was vor über hundert Jahren nichts wurde, könnte man doch jetzt mal wieder...

Und hier Martinys „Acht Thesen zum Kulturaustausch“: Das Kulturabkommen von 1986 könne weiter gelten; wir, die Reichen, sollten auch psychologische Rücksicht auf die Ärmeren nehmen und finanzielle Hilfe leisten; wir sollten nicht die gewachsenen Strukturen im Osten erdrücken; Vorrang sollten jetzt die Begegnungen von möglichst vielen Menschen haben bzw. die Förderung von einzelnen Künstlern und kleineren Projekten etwa gegenüber dem Austausch von ganzen Opernensembles; Workshops könnten Erfahrungen vermitteln, auch mit einer als Bestandteil einer demokratisch organisierten Lebensform verstandenen Kultur; im übrigen könnten auch wir vom Osten profitieren, wo viele Traditionen lebendig gehalten worden wären, z.B. die des Expressionismus, während hier nach dem Krieg auch die Kultur amerikanisiert worden wäre; heute wiederum müßte die DDR -Kulturszene attraktiver werden, denn wir sollten ihr Ausbluten verhindern; DDRler müßten Eingang und Zugang zur West-Kultur erhalten, und schließlich sollte ein Regionalforum 'Kultur‘ gebildet werden.

Es folgten verschiedene „eher grundsätzliche“ bis „halbgrundsätzliche“ Anmerkungen der Podiumsherren Uwe Lehmann-Brauns, 'Tagesspiegels‘ Bernhard Schultz sowie des Weddinger SPD-Bezirksstadtrats Bernd Schimmler. Letzterer wies einerseits auf die enorm gestiegenen Ateliermieten von mauernahen Westkünstlern hin, zeigte sich andererseits aber auch glücklich über die bereits geknüpften bezirklichen Kontakte von Musikschulen, Volkshochschulen und Kunstämtern zu Ostberliner Volkskunstschaffenden, wobei allerdings problematisch sei, daß Westensembles im Osten kaum bezahlt werden könnten. Lehmann-Brauns wiederum warnte davor, sich mit nicht legitimierten Spitzenrepräsentanten zu treffen, wollte im übrigen dringend Potsdam retten! und forderte das Deutsche Historische Museum auf, DDR-Untergrundliteratur zu sammeln. 'Tagesspiegel'-Schultz schließlich erweiterte die hochkursierende deutsche Kulturnation bis ins Baltikum respektive bis tief in die Sowjetunion und forderte entsprechend, z.B. die Wolgadeutsche Republik gleich miteinzubeziehen in die „Förderung und Erhaltung des Human Capital“ und den „Transfer von Know-how“. Auch er warnte vor offiziellen Kontakten vor den Wahlen am 6. Mai und forderte ohnehin eine Entstaatlichung und Entbürokratisierung des Kulturaustauschs und eine Entquickung von staatlicher Repräsentanz. Im übrigen sei das Kulturabkommen deshalb obsolet.

Bei der anschließenden Diskussion sollte am besten gleich jeder auch noch sagen, wie seine Institution denn jetzt schon ostkontaktet. Dabei stellte sich heraus, daß die meisten schon seit Ewigkeiten intimst mit dem Kommunist kollaboriert hatten. Andere wieder werden jetzt von Deutsch -Demokraten förmlich überrollt: z.B. die AGB, deren Regale mittlerweile leer und deren Mitgliedscomputerspeicher voll seien. Oder das Museum für Verkehr und Technik mit 85 Prozent Ost-Besuchern: Dennoch oder vielleicht gerade deshalb kamen ausgerechnet von dort einige der wenigen an diesem Tag geäußerten übergreifenden Gedanken, die über die platte Forderung nach mehr Geld hinausgingen. Hier witterte man vor allem die Gefahr, daß der Kulturbegriff auf den der 'Sieger‘ in der DDR - nämlich der Schriftsteller, Theatermacher, bildenden Künstler etc. - eingeengt und die naturwissenschaftlich-technische Kultur völlig ausgeklammert wird, ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo sich beide Kulturen im Westen zu versöhnen begannen.

Ansonsten machte man sich zum Beispiel über die hochbrisante Luftbefeuchterproblematik intensive Gedanken. „Wie bekomme ich Luftbefeuchter nach Leipzig?“ fragte sich etwa der entwicklungshilfswillige Leiter der Berlinischen Galerie Jörn Merkert. Als ob's in der DDR bisher noch nie eine Kunstausstellung gegeben hätte, meditierte man über technische Elementarfragen, nach deren Lösung man dann mit einer allgemeinen Kultivierung der DDR anfangen könnte.

Viele sprachen sich gegen das Kulturabkommen aus, das in Zukunft höchstens eine verwaltungsmäßige, nicht aber eine inhaltliche Funktion haben dürfte, und kontrovers wurde die Frage diskutiert, ob sich Martiny mit dem DDR-Kulturminister Keller nun noch einmal treffen dürfte oder nicht. Trotz allen peinlichen Pfründesicherungsmaßnahmen von seiten der West-Kulturisten („Auch wir wollen kostenlosen Eintritt in die Museen“, „Die nehmen uns unsere Gelegenheitsarbeitsplätze weg“ etc.) gab's dann noch ein paar wirklich praktische Vorschläge zum Austausch, wobei man sich über die von Martiny vorgeschlagene Kleinteiligkeit relativ einig war: So sollte mehr Ware gegen Ware auf dem Wege des Kulturalientausches geliefert werden, jemand fand, daß die ohnehin schon eher lächerliche Einrichtung des Stadtschreibertums nun auch auf Ost-Dichter ausgedehnt werden sollte, ein alter SPDler wollte, daß die großen Institutionen ein bis drei Prozent ihrer Projektmittel abgeben und daß der Bau des Historischen Museums verschoben werden sollte, denn Potsdam zu erhalten wäre schließlich auch eine deutsche historische Aufgabe, und schließlich hatte jemand die Idee, daß jede Wanderausstellung quasi automatisch eine kleine DDR-Schleife ziehen könnte.

Grundsätzliche Bedenken meldete nur eine Redakteurin des 'Neuen Deutschland‘ an. Anke Martinys These, wonach der Kulturaustausch auch Einblicke in das (westliche) Gesellschaftssystem ermöglichen sollte, radikalisierte sie noch: „Der Kulturaustausch transportiert fertige Gesellschaftsvorstellungen, und wir müssen die dann nehmen. Schließlich bekommen wir auch noch Geld dafür.“

Gabriele Riedle