„Das ist die Flucht aus der Verantwortung“

■ Interview mit dem Regierenden Bürgermeister Walter Momper zur Befindlichkeit der rot-grünen Koalition SPD notfalls auch alleine? / Momper: „Ja, wenn die AL das darauf hintreibt, dann wird es wohl so passieren“

taz: Heftige Kritik übte die Mitgliederversammlung der Alternativen Liste am vergangenen Samstag an der SPD. Dabei wurde ein Rückzug der AL-Senatorinnen aus dem Senat bei anhaltenden Kontroversen nicht mehr ausgeschlossen. Heißt das für den Regierenden Bürgermeister Walter Momper, daß die rot-grüne Koalition platzen könnte?

Walter Momper: Ja, wenn die AL das darauf hintreibt, dann wird es wohl so passieren. Ich hoffe das nicht, weil wir Koalitionsvereinbarungen über vier Jahre geschlossen haben, und ich erwarte von der AL, daß sie die einhält.

Die Ursache der Unmutsäußerungen lagen unter anderem darin, daß die AL zweimal im Senat überstimmt worden ist. Ist das nicht eine Praxis, die normalerweise unter Koalitionspartnern nicht vorkommen sollte?

Dies hatte bestimmte Gründe, beispielsweise bei der Kürzung der Personalmittel im öffentlichen Bereich. Die Senatorinnen der AL haben im Sommer den Kürzungen bei der Vorbereitung des Haushalts im Senat zugestimmt. Als es dann bei den geplanten Einsparungen an die Umsetzung ging, standen sie plötzlich nicht mehr zu dem, was sie damals mit beschlossen hatten. Im übrigen: Ich kann, wenn eine Notwendigkeit zum Handeln besteht - und in diesem Fall bestand sie -, nun nicht darauf warten, bis die Senatorinnen soweit sind und sich auch erklären können.

Sie glauben also, daß die Überstimmung der AL in beiden Fällen gerechtfertigt war?

Ich kann doch nicht warten, bis die AL soweit ist. Regieren heißt eben, daß man handeln muß. Man muß dabei immer Kompromisse schließen. Aber man kann nicht nach Beliebigkeit erst die Lehrerstellen für das eigene Ressort einkassieren und dann bei den anstehenden Einsparungen für Personalkosten in anderen Bereichen sagen, das mache ich nicht mit.

Ein weiterer Punkt, der bei der AL auf heftige Kritik gestoßen ist, war die Anzeige zum KiTa-Streik. Die Anzeige erschien im Namen des Senats, obwohl die AL im Vorfeld vor dieser Anzeige gewarnt hatte.

Da können die ja viel im Vorfeld sagen, das war aber Senatspolitik, wie sie auf der letzten Klausursitzung des Senats einvernehmlich festgelegt worden war und sich aus dem Beschluß zum Haushaltsplan 1990 auch ergibt. Es ist erstaunlich, daß sich, wenn es um die konkrete Materialisierung geht, auf einmal alle abseilen. Im übrigen hätte die zuständige Fachsenatorin bei der Beschlußfassung über den Haushaltsplan sagen können, ob sie eine Umverteilung von Mitteln in ihrem Geschäftsbereich hätte haben wollen. Das hat sie aber nicht getan.

Bleibt die formale Vorgehensweise: eine Anzeige im Namen des Senats ohne Zustimmung der AL. Dies ist doch zumindest keine sonderlich schöne Vorgehensweise.

Aber das ist wunderschön. Da ist nichts dran unschön, und zwar deshalb nicht, weil das Presseamt im Geschäftsbereich des Regierenden Bürgermeisters liegt. Ich kann mir doch nicht verbieten lassen - und schon gar nicht durch die AL -, daß ich eine gemeinsam gefaßte Politik nicht auch veröffentlichen kann. Wenn inhaltlich daran etwas nicht in Ordnung wäre, es also abweichen würde von der Politik des Senats, dann wäre die Kritik berechtigt. Aber ich muß doch wohl nicht bei den Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit oder bei Maßnahmen, die innerhalb des Geschäftsbereichs des Regierenden Bürgermeisters liegen, vorher die AL um Zustimmung fragen. Wo kommen wir denn da hin?

Hätten Sie nicht wenigstens mit Anne Klein, die laut Anzeige die Gespräche mit ÖTV und GEW führen soll, vorher eine Übereinkunft erzielen müssen?

Ich weiß nicht, welche Übereinkunft. Entweder kommt sie ihren Aufgaben als Senatorin nach oder sie läßt es bleiben. Jeder muß seinen Geschäftsbereich ausfüllen, dafür wird er gewählt und vom Steuerzahler auch bezahlt. Man kann nicht nach dem Lust-und-Laune-Prinzip handeln, und das geht bei SenatorInnen schon gar nicht.

Es geht das Gerücht, die SPD strebe in West-Berlin eine Alleinregierung an.

Zu Gerüchten sage ich prinzipiell nichts. Ich habe eine Koalition für vier Jahre geschlossen, und zu der stehe ich auch. Zur Koalition mit der AL und zur Realisierung der Koalitionsvereinbarungen. Und das gleiche erwarte ich von der AL - übrigens auch an dem Punkt des Stromlieferungsvertrages aus Westdeutschland. Da gibt es eine eindeutige Festlegung in den Koalitionsvereinbarungen. Zur Zeit geht es doch schlichtweg dahin, daß das der AL nicht mehr paßt und sie sich von der Realisierung der Stromtrasse abseilen will. Das ist die Flucht aus der Verantwortung, sonst nichts.

Michaele Schreyer als Umweltsenatorin sagt aber sehr wohl, daß sie zu der Stromtrasse steht, es aber verschiedene Möglichkeiten gibt, diese umzusetzen.

Das ist sicher richtig, aber ich frage Sie als Berliner Stromkundin: Wollen Sie denn die Stromlieferungen für die DDR bezahlen, wenn Sie selbst keinen Vorteil mehr davon haben? Die Stromlieferungen, die die DDR aus Westdeutschland bekommt, werden mit der Transitstromleitung durch die DDR nach West-Berlin bezahlt. Wenn auf einmal der Vorteil für West-Berlin zunichte gemacht wird, dann zahlen wir jährlich Millionenbeträge, um diese Stromlieferung in die DDR zu ermöglichen, ohne selbst etwas davon zu haben. Eine Landesregierung, die so etwas beschließen würde, würde von der Bevölkerung mit Schimpf und Schande davon gejagt, und zwar zu Recht.

Im übrigen hat die DDR-Regierung klar gesagt, daß sie die Realisierung des Stromlieferungsvertrages wünscht, und zwar uneingeschränkt. Ich bin es langsam leid, mich bei Herrn Honecker und bei Herrn Modrow dafür rechtfertigen zu müssen, daß dieser Stromlieferungsvertrag...

...bei Herrn Honecker?

Doch, bei Herrn Honecker im Juni auch schon. Wie genüßlich der das hochgezogen hat und gesagt hat, daß er nun Vertragstreue von uns erwartet. Herr Modrow hat das gleiche gesagt. Ich bin es wirklich leid, weil ich doch genau weiß, daß die DDR im Winter womöglich in Energielieferungsschwierigkeiten kommt und deshalb auf den Stromlieferungsvertrag bitter angewiesen ist.

Halten Sie eine Einigung mit der AL für realistisch?

Die Frage, ob der Vertrag eingehalten wird, bemißt sich doch daran, welche Stromlieferung Sie abnehmen. Eins ist doch fest vereinbart: erstens die Zahlung der Summe, die wir dafür zu entrichten haben, daß wir von Preußen Elektra bestimmte Strommengen geliefert bekommen, und zweitens, daß wir sie durch die Transitstromleitung bekommen. Wenn man das nicht einhalten will - wie die AL -, dann kann man das sein lassen, aber nicht mit mir.

Heißt das, daß die SPD die AL in diesem Punkt möglicherweise wiederum überstimmen wird?

Das wird sich im Senat zeigen, das kann ich jetzt noch nicht sagen.

Interview: Martina Habersetzer