Am lebendigen Fleisch

■ „Eros Grec - Amour des Dieux et des Hommes“ - Eine Ausstellung im Pariser Grand Palais

Wichtigstes wurde weggewischt. Nicht von den Ausstellungsmachern, sondern wahrscheinlich schon vor Jahrhunderten. Vasenmalerei um 430 vor Christi Geburt: Ein Mann liegt ausgestreckt auf einem Tisch, daneben stehen zwei weitere Männer, die eine Frau an den auseinandergespreizten Oberschenkeln so heben und senken, daß der aufgestellte Penis des liegenden Mannes in sie eindringt, wieder hinausgeht, wieder hinein. Der Penis wurde überpinselt möchte man anzüglich sagen.

Immerhin, diese Vase war eines der wenigen Exponate, das nicht schon vor hundert Jahre in höheren Töchterschulen gezeigt worden wäre.

Kaum mehr als einhundert Ausstellungsstücke, dazu ein paar kurze Sätze auf weißer Wand - von der Art „Die Liebe ist der einzige Stratege, der nie besiegt wurde“ -, gedämpftes Licht und ständige musikalische Berieselung machten klar, daß wir es mit Religion und Philosophie, Großem und Erhabenem zu tun haben, auf keinen Fall aber mit lustvoll praktizierter Pornographie.

Die Ausflucht, daß beides nicht unbedingt zweierlei sein muß, daß, wo der allmächtige Gott in Gestalt eines Stiers sich eine Jungfrau schnappt und in der eines Adlers einen kleinen Knaben, nicht nur unser Strafrecht, sondern auch unsere moralischen Vorstellungen ihre Gültigkeit verloren haben, funktioniert inzwischen wie ein Schutzwall.

Die Darstellung männerbündischer Frauen- und Männerverwendung auf der attischen rotfigurigen Vase aus dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert könnte als Fotografie niemals die Zensur auch unserer Tazsittenwächter passieren. Als antike Vaenmalerei hat sie es geschafft.

Wieso „männerbündisch“? Es sind, wie schon bei der eingangs geschilderten Szene die Vergnügungen kleiner Jungmännergruppen, die sich - so scheint es dem naiven Betrachter - wahllos mal dem anderen, mal dem eigenen Geschlecht zuwenden. Sie funktionieren als Gruppe, betätigen ihre Sexualorgane wie Jugendliche einer prüderen Epoche Flipperautomaten und Jukeboxes. „Rudelsex“ nannte sich das vor ein paar Jahren. Es ist der männliche Nachwuchs der griechischen Leisure-Class, der mit beneidenswerter „Coolness“ seine Geschlechtsorgane reinschiebt wie die Nachgeborenen es heute allenfalls mit Hamburger und Cola tun.

Die solide Basis solcher ungehemmter Vergnügungssucht ist ein unerschöpfliches Reservoir von Sklaven und Sklavinnen, von Leuten jedenfalls, die keinen Mucks tun durften ohne den Willen der jungen Lords. Und schon garnicht gegen den Willen ihrer Herrschaften. Diese Vase habe ich in der Ausstellung nicht gesehen. Vielleicht habe ich nicht richtig geschaut, vielleicht aber ist sie wirklich nur im Katalog.

Eines der Glanzstücke der Ausstellung ist eine Leda mit einem sie von vorn bespringenden Schwan. Marmor, aber ganz zart, man sieht, wie ihr die Knie weich werden. Eine sehr erotische Plastik, nicht zuletzt darum, weil der Schwan so klein ist. Jedenfalls verglichen mit einem Mann, geschweige denn mit Göttervater Zeus. Da wälzt sich kein dummes, schwitzendes Fleisch auf den zarten Körper einer jungen Frau, sondern ein versierter Liebhaber, der es versteht, die richtigen Knöpfe im richtigen Augenblick zu bedienen, verschafft der weichschenkeligen Königin Spartas zitternde Lust.

Die Skulpur ist so schön, daß das Obszöne daran, leicht vergessen wird. Sie spricht zu direkt das Obszöne in uns an als daß unser Unrechtsbewußtsein sich noch einschalten könnte. Es handelt sich schließlich um Unzucht mit Tieren. Die mythologische Geschichte dazu hat nichts mit dem begeisternden Realismus der Darstellung zu tun.

Auf anderen Vasenbildern stecken junge Männer ihren Penis in Ziegen und anderes Getier. Sie tun es versiert ohne Gemütsaufwand. Sie könnten das Ding ebensogut in ein Schlüsselloch oder irgendein anderes stecken. Die angestrengte Suche nach einem „Partner“ entfällt. Es scheint darum zu gehen, die Schwellung loszuwerden. Nicht schnell unter der Dusche, sondern nach lustvollen Steigerungen, die mit dem Objekt wenig zu tun haben. Ja, man darf sicher sein, eine engere Beziehung zum Objekt würde dieser Art von Vergnügen eher schaden.

Ganz anders sind da die Darstellungen der Jünglingsgeschenke. Sie sind ein viel untersuchtes Genre. Ein erwachsener Mann mit spitzem Bart und Stock überreicht einem jungen, gelockten Knaben mit Lyra einen Hasen. Es handelt sich um das traditionelle Liebesgeschenk des Päderasten an seinen Epeheben. Warum es ein Hase sein muß, der andernorts - zum Beispiel beim christlichen Osterfest als das Symbol der Fruchtbarkeit herhält, darüber schweigt, wie über so vieles, die Ausstellung sich aus.

Diese Szenen werden in der Literatur immer als besonders zart geschildert. Man vermiß als Laie ein wenig, daß nicht darauf eingegangen wird, daß ja das Tauschgeschäft dargestellt wird, die Kundenanmache. Als Schnitzler dergleichen in Wien auf die Bühne brachte vor achtzig Jahren, schrie man Zeter und Mordio, die wenigsten sprachen von der „Zartheit“ des Reigens.

Dem Mangel an Formen der Zärtlichkeit, wie wir sie verstehen, versucht die Ausstellung an einer Stelle abzuhelfen. Durch Arrangement. Eine Antinous-Statue auf die eine Hadrian-Büste herabblickt. Hier soll jene Art intimer Beziehung vorgetäuscht werden, für die die Ausstellungsmacher in der antiken Überlieferung keinen Beleg fanden.

Dieses Arrangement erhellt das Verhältnis der Aussteller zur Überlieferung besser als all die frommen Zitate aus den alten Autoren. Was sie suchten, gab es in der Antike nicht. Sie mußten es sich basteln. Statt uns aber diese andere Erotik in aller Drastik zu zeigen, sie vorzuführen als das andere, als das, womit wir wenig zu tun haben, biegen sie das Material um. Versuchen, es sich gefügig zu machen und handeln so, wie die jungen antiken Lords. Aber eben am Abbild, während die es am lebendigen Fleisch taten.

Eros Grec - Amour des Dieux et des Hommes, Galeries Nationales du Grand Palais, Paris, noch bis zum 5. Februar 1990. In Athen vom 5. März bis zum 5. Mai.

Katalog 200 Francs