Die kalte Schulter des großen Denkers

■ Boris Beckers unbequeme Worte und ihre Folgen / Messerwetzen bei 'Bild‘?

Willi Daume, der große Alte des bundesdeutschen Sports, mag es gelegentlich ein bißchen pathetisch. Er stand dann auch ziemlich alleine mit seiner Würdigung, die er Boris Becker zuteil werden ließ: „Jetzt haben wir nicht nur einen großen Tennisspieler, sondern auch einen großen Denker.“ Ansonsten machte sich rund um den Davis-Cup eher Gelassenheit breit, nach der Aufregung um einige neue Töne des Stars in einem Interview mit 'Sports‘, dem Magazin für Golf und Abenteuersport (siehe taz v. Freitag).

Warum soll ein Zweiundzwanzigjähriger nicht denken, meinen fast alle, was 'Bild‘ so unnachahmlich prägnant zusammengefaßt hat: „Boris findet, daß er viel zu viel verdient, hält die Wiedervereinigung für Palaver, die Bundeswehr für überflüssig, will Steuern nur dann zahlen, wenn er weiß, was mit dem Geld geschieht.“ Einigkeit von 'Frankfurter Rundschau‘ („Etwas konträr zur vorherrschenden Meinung in der Tenniswelt. Sonst aber ist nichts passiert.“) bis zur 'Welt‘ („Aber soll er sich nicht öffentlich äußern?“).

Einig aber auch waren sich die meisten über den Grund des Sinneswandels, die Phantasie reicht da nicht weit: Natürlich, was sonst, kann da nur eine Frau dahinter stecken. Damit wäre die ganze Geschichte eigentlich schon abzuhaken, hätte sie nicht einen kleinen Nebenaspekt, auf den als einziger ausgerechnet der sonst eher - milde ausgedrückt - konservative Kolumnist Hans Blickensdörfer ('Stuttgarter Zeitung‘) verwies: „Es ist sehr mutig, der größten Zeitung die kalte Schulter zu zeigen. Politiker wagen das nicht; sie sind eher servil, wenn 'Bild‘ ruft.“

Das Boulevardblatt war tief betroffen, klagte „Ach Boris, warum lügst du?“ und beeilte sich klarzustellen, der Vertrag mit Becker sei mitnichten von diesem gekündigt worden. „Gegenseitiges Einvernehmen“ heiße die Sprachregelung. Becker, sagte Sportchef Werner Köster der taz, sei den getroffenen Vereinbarungen nicht nachgekommen. War es da nicht großmütig, dem jungen Menschen nach einer „weinerlichen Nummer“ im Herbst 1988 eine letzte Chance einzuräumen? Er hat sie nicht genutzt, und lange läßt Köster „auch nicht den Affen mit mir machen“. Also habe 'Bild‘ um Auflösung des Vertrags gebeten, nicht Becker.

Nur darum geht es der Zeitung, und nicht um die Beckersche Bemerkung über „die Art und Weise, wie sie Geschichten erfinden“. Köster: „Wir müssen uns gegen Lügen wehren.“ 'Bild‘ kämpft für sich. Eigentlich ist das nicht mehr nötig. Diese Zeit ist unendlich liberal und Axel Springer längst tot, das Feindbild weg, die Schüsse auf Rudi Dutschke sind Geschichte. Heute besucht Daniel Cohn-Bendit die Redaktion und beugt sich interessiert über den Bildschirm des Computers, die neuesten Fußballergebnisse zu erfahren. Und Willy Brandt veröffentlicht seine Memoiren. Die Schriftsteller der 70er Jahre, die dem Blatt nicht dienen wollten - vergessen. Die Buttons von damals mit „Bild macht dumm“ - im Müll. Günter Wallraffs Bücher - im Antiquariat. Und war die Zeitung für 50 Pfennig in Sachen „DDR“ nicht so wunderbar gut informiert?

Wen wundert's, daß Tennispräsident Claus Stauder sich zwar für „ein sehr starkes Interview“ erwärmen kann, aber glaubt, „das mit 'Bild‘ war der einzige Fehler„; daß er annimmt, dort würden „jetzt die Messer gewetzt“. Auch der Sozialpsychologe Horst-Eberhard Richter glaubte in der Schleyer-Halle, „die 'Bild'-Mafia wird über ihn herfallen“.

Die Sorgen sind unnütz. „Es wird keine Kampagne gegen Becker geben“, versichert Werner Köster, und weil er seine Pappenheimer kennt, fügt er hinzu, „Sie werden das ja sicher interpretieren“. Dieser Anregung läßt sich folgen. Mit dem Hinweis z.B., daß es eine ganze Palette von Methoden gibt in diesem Gewerbe, Menschen zu piesacken. 'Bild‘ lebt ja, trotz sinkender Auflage, recht gut mit und vom Sport. Kaum ein prominenter Name, ob Bundesliga oder Olympische Spiele, der nicht auf der Honorarliste steht; im Tennis wirken Verband, 'Bild‘ und Tiriac gleichsam wie ein magisches Dreieck. Und der tägliche Kotau der öffentlichen Figuren dieser Republik ist dem Blatt auch künftig sicher.

Sowieso ist Werner Köster nicht nachtragend, viel eher pragmatisch: „Die Deutschen wollen Siege sehen, das ist gut für die Auflage.“ Da hat Herr Becker ja schon wieder einiges gut gemacht an diesem Wochenende.

Thömmes