Runder Tisch fordert Rechenschaft der Regierung

Runder Tisch traf sich zum zweiten Mal / Neue Mitglieder am Verhandlungstisch / Auseinandersetzungen um die Kooperation mit der Regierung Modrow und die Kompetenzen des Gremiums / Bericht der Regierung über Wirtschaftslage gefordert  ■  Aus Ost-Berlin Matthias Geis

Die Mitglieder des runden Tisches in Ost-Berlin erwarten von DDR-Regierungschef Hans Modrow und Bundeskanzler Helmut Kohl „klare Aussagen“, wie bei der Abschaffung der Visumpflicht für Reisen in die DDR ein Ausverkauf des Landes und die „Einreise von Neonazis und anderen Rechtsradikalen“ vermieden werden kann. Vor Verabschiedung dieses Beschlusses war es zu einer Kontroverse um die Legitimität der Regierung Modrow gekommen.

„Die Regierung ist bis zum 6.Mai im Amt. Wenn wir sie heute stürzen, dann sehe ich am 6.Mai keine Wahlen.“ Wolfgang Berghofer, SED-Vertreter am runden Tisch, entwickelte gestern ein dramatisches Szenario, um den Vertretern der Opposition einen Vertrauensvorschuß für die Modrow-Regierung abzuringen. Die Entwicklung der DDR habe das europäische Gleichgewicht ins Wanken gebracht, das Land sei in allen Bereichen von Krisen erschüttert, und nun das.

Was Berghofer so beunruhigte, war ein Forderungspapier, das vom Neuen Forum überraschend in die zweite Verhandlungsrunde eingebracht worden war: Die jetzige Regierung, so das Papier, sei in keiner Weise gesellschaftlich legitimiert; deshalb „muß sie zur Übergangsregierung erklärt werden“. Weiter forderte das Neue Forum ein klares Kontroll- und Vetorecht des runden Tisches, die vorbehaltlose Kooperationsbereitschaft der Regierung, die Offenlegung aller Gesetzentwürfe und eine „Klarstellung der Befugnisse der Generaldirektoren“. Ob sich die Regierung wirklich mit „wildwüchsigen Verhandlungen der Betriebsleiter mit westlichen Firmen“ am Ausverkauf der DDR beteiligen wolle?

Auch „Vieraugengespräche“ zwischen Regierungsvertretern und ausländischen Unterhändlern soll es nach Meinung des Forums in Zukunft nicht mehr geben. Weiter wurde die Einsicht in die Gesprächsprotokolle der Regierungstreffen mit Kanzleramtsminister Seiters, Wirtschaftsminister Haussmann und Ministerpräsident Späth angemahnt. An den morgen beginnenden Verhandlungen mit Bundeskanzler Kohl müßten Oppositionsvertreter zugelassen werden.

Die Forderungsliste, die - wie es in der DDR-Opposition üblich ist - nicht als gemeinsamer Vorstoß aller Gruppen, sondern als Forum-Alleingang eingebracht wurde, war selbst einigen Oppositionsvertretern zuviel. Natürlich wolle man die Regierung nicht stürzen, entgegnete Wolfgang Ullmann von „Demokratie Jetzt“ schalkhaft; davor habe er persönlich viel zuviel Angst. Dennoch forderten er und andere Oppositionsteilnehmer endlich die von der Regierung zugesagte Kooperation, insbesondere die Offenlegung der wirtschaftlichen Situation und der Vorkehrungen, die gegen den Ausverkauf des Landes getroffen würden, wenn am ersten Januar der Visumzwang für Bundesbürger falle.

Am Ende der Debatte einigte man sich darauf, daß eine pauschale Loyalitätserklärung gegenüber der Regierung, wie sie von Vertretern der Regierungsparteien gefordert worden war, vorerst nicht in Frage komme.

Das Neue Forum zog sein Forderungspapier zurück, unter der Bedingung, daß die Regierung spätestens bis zur nächsten Verhandlungsrunde Bericht über die Gesetzesvorbereitungen und die wirtschaftliche Situation erstatte. Die Kompetenzen des runden Tisches - Gegenregierung oder unverbindliche Beratungsrunde - blieben auch diesmal ungeklärt.

Zu Beginn hatte es wieder die obligatorische „Wir-wollen -auch dabeisein„-Demonstration gegeben. Der Demokratische Frauenbund (DFD), die Bauerngewerkschaft (VDGB), die FDJ und die Grüne Liga forderten lautstark ihr Teilnahmerecht: „Demokratie - ohne uns nie“, hieß die Parole, mit der der runde Tisch bald mürbe gemacht und zur Entscheidung gezwungen wurde. Am Ende wurde die Bauerngewerkschaft und die Grüne Liga stimmberechtigt am runden Tisch zugelassen. Der Frauenbund und die FDJ erhielten Beobachterstatus.