Ein tanzendes Paar ist ein Tier mit vier Füßen

■ Gespräch mit Gisela Graef-Marino, Regisseurin, und Leonardo Sanchez, Gitarrist der Tango-Gruppe „Gomina“

Was ist das, Tango?

Gisela Graef-Marino: Der Tango ist eine sehr komplexe Ausdrucksweise. Musik, Gesang, Tanz gehören dazu, und Poesie. Alles gehört zusammen und ist wichtig.

Leonardo Sanchez: Es ist eine Art zu leben. In der Stadt, in den armen Vierteln.

In Europa ist Tango ein Standard-Tanz. Aber im Ursprung ist das eine sehr offene, großenteils improvisierte Musik. Wie paßt das zusammen?

Gisela Graef-Marino: Der eigentliche Tango wird ganz anders getanzt. Diese zackigen Kopfdreher gibt es da nicht. Der Körper ist rund, obenrum bewegt man sich fast nicht, das sind nur die Beine, die sprechen. Es gibt sehr viel Blickkommunikation, ganz anders.

Leonardo Sanchez: Der europäische Tango, das ist eine Karikatur. Auch die Musik bewegt sich

nicht, stundenlang, und der echte Tango ist eine bewegte Musik.

Wie seht ihr das Verhältnis von Tango und Realität, der Realität der Südamerikaner zum Beispiel, die in Europa leben.

Leonardo Sanchez: Sagen wir, die Aufführung beschreibt die Situation, wenn man sehr jung ist. Wenn man Tango macht, hat man oft das Bild, daß das kein Tanz ist, der für alte Leute ist. Unter den jungen Leuten aber ist der Tango seit den 60er Jahren im Niedergang, das heißt, das reflektiert die moderne Realität sehr gut.

Ich habe im Moment das Gefühl, daß der Tango gerade aufsteigt.

Leonardo Sanchez: Der Tango ist wie eine Welle. Er war nie verschwunden weil er immer noch die selben Dinge zu sagen hat, wie seit hundert Jahren.

Aber es ist doch eine ganz spezielle Welle, es gibt doch im europäischen Tango einen starken Bezug zum rehabilitierten Machismo.

Leonardo Sanchez: Auf jeden Fall wollen wir das absolut nicht, daß sich der Tango mit diesen Symbolen des Machismus auflädt. Da sind wir dagegen.

Wie ist denn das Verhältnis von Tango und Erotik?

Gisela Graef-Marino: Der Tango als Musik ist zunächst in Bordellen gespielt und getanzt worden. Es gibt da also Wurzeln, einen Grund, der mit Erotik zu tun hat. Man muß sich ein Tango tanzendes Paar so vorstellen wie ein Tier mit vier Füßen. Die Beine sind immer ineinander verschlungen, berühren sich, streicheln sich. Das ist sehr sinnlich, man ist sich immer sehr nah. Und die Texte waren früher sehr ordinär und doppeldeutig, da ging es immer um Sex. Aber das hat sich verändert.

Und wie ist das bei euch?

Gisela Graef-Marino: Das ist sicher ein Aspekt, den man sehen kann, aber es ist einer von vielen. Das

hängt wohl vom Zuschauer ab. Wir haben auch viele andere Aspekte in unsere Tänze und Texte eingebaut. Was aber wahr ist, ist daß es in allen Tänzen eine deutliche Sinnlichkeit gibt, nicht Sexualität, aber Sinnlichkeit. Das ist auch so mit der Musik, die ist auch eher rund, anschmiegsam, als starr und aggressiv. Melancholisch, erotisch, da steckt noch viel mehr drin, es kommt auf diese Mischung an.

In Südamerika ist doch soziale Einbindung des Tango eine ganz andere. Es sind bestimmte Orte, wo der Tango herkommt, bestimmte Gruppen, bestimmte Gefühle, die sich in ihm ausdrücken.

L. S.: Das ist wahr. In Südamerika ist der Tango ein Reflex der sozialen Situation. Die Texte, die ganze Stimmung, beziehen sich auf diese Umstände und wenn man nach Europa kommt, muß man sehr viel verändern, weil

diese Musik hier erst einmal exotisch ist.

Fragen: step

Die Gruppe „Gomina“ spielt ihr Programm „Como un Tango“ bis zum 31.12., 20 Uhr, Theater im Packhaus.