Ein müdes neues Grips-Stück

■ Ludwig/Michels „Der letzte Wähler“

Dem Berliner Grips-Theater eilt der Ruf voraus, daß dort zeitbezogenes Theater geboten werde. Und spätestens seit dem Musical Linie 1 kann sich Grips-Autor Volker Ludwig auch rühmen, daß sein Stück die Kassen klingeln läßt. Zu Volker Ludwig gehört eigentlich Detlef Michel.Das Autorengespann arbeitet schon lange zusammen und hat erst Anfang des Jahres im Grips-Theater ein neues Stück vorgestellt: Ab heute heißt du Sarah, basierend auf der Geschichte einer Jüdin im Dritten Reich und wieder in Form eines Musicals bearbeitet. Nun haben sie erneut ein Stück nach ihrem Erfolgsrezept zusammengemischt. Ihr nicht mehr ganz so neues Thema: Politiker sind dumm, und der Wähler ist immer der Betrogene. Das klingt nach Stammtischdramatik, und das ist es über weite Strecken auch.

Ulrich Kerbel, ein Chemiker in den besten Jahren, will wählen, darf aber leider nicht. Die Briefträgerin machte einen Fehler, das Einwohnermeldeamt löschte ihn in der Datei. Nach der Wahl herrscht allerdings Stimmengleichheit, so daß seine Stimme von den Spitzenkandidaten der beiden großen Parteien plötzlich heiß umworben wird. Welcher von der CDU und welcher von der SPD ist, sieht man sofort obwohl sie sich eigentlich nicht unterscheiden. Denn sie stimmen gemeinsam das Klagelied des armen Politikers an: „Ich lebe auf Diät von den Diäten, und keiner hat mich lieb.“ Derartige Sprüche finden sich hauptsächlich in Volker Ludwigs Liedtexten.

Daß Kerbel um die Korkeiche zittert, synthetische Weinflaschenkorken erfindet und in seiner Freizeit im nahegelegenen Biotop den Vogelstimmen lauscht, ist als Öko -Geschichte nicht allzu originell. Es wird von Ludwig/Michel vor allem dazu gebraucht, Kerbel in Konflikte geraten zu lassen. Die eine Partei verspricht, die Korkeiche zu retten und eine Fabrik für synthetische Korken zu bauen, die andere will das Biotop vor genau dieser Fabrik schützen. Korkeiche oder Biotop, das ist Kerbels Frage... (und der Chemiker erhält durch den Konflikt die Umrisse einer Figur).

Das ist immerhin etwas und wurde in der Heidelberger Uraufführung am 10.12. gut herausgearbeitet (Regie führte Intendant Peter Stoltzenberg). Ansonsten aber leidet auch die Inszenierung darunter, daß das Grips-Team routinierte Plattheiten in seinen Theatertext geschrieben hat. Was sie zu sagen haben, hat man schon zu häufig gehört. Volker Ludwig und Detlef Michel arbeiten schnell - zu schnell. Ab heute heißt du Sarah war deshalb ein gutes Stück, weil es nach einer Vorlage gearbeitet wurde und die Musicalform das schwergewichtige Thema entkrampfte. Beim Letzten Wähler passiert das Gegenteil: Ein flaches Thema wird durch die Form noch mehr verflacht.

Jürgen Berger

In diesem Jahr wird der letzte Wähler noch am 30.12. gespielt