Achternbuschs Auslaufen

„An der Donau“ in Düsseldorf als Erstaufführung  ■  „Meine Sorge ist, daß ihm das Bie

nicht mehr schmeckt.

(3. Gott in Szene 1: „Welle“

In Herbert Achternbuschs Sintflut tauchte ich mit masochistischer Lust ein - damals, in Peymanns Bochum. Den Stier, der zunächst in Bonn abgekocht wurde, zog ich mir (seiner nicht enden wollenden Zahlenfolge wegen) mit erheblichem Magendrücken rein. Beim Frosch in München war die Luft nicht zu überhören; vor allem die herauskommende Luft, die Blähungen des ewig bierseligen Philosophierens ohne Maß und Ziel. Und jetzt kam An der Donau an den Rhein nach Düsseldorf.

Kurzweilig geht's an: Damit die Wartezeit nicht zu lang wird, zeigen drei Monitoren die Karten Europas, Landschaft und Friedhof. Drei Götter warten erhaben im Hintergrund, angeschnallt in ehernen Gehäusen mit je einem Brett vorm Kopf, durch dessen Löcher sie die Zuschauer fixieren. Die beiden Herren Götter und die Göttin steigen hernieder, verwickeln sich in eine Erörterung des Schöpfungsgedankens, der menschlichen Arbeit schlechtin und des Geschlechtsaktes (der ihnen Kopfweh macht, wenn es die Arbeitslosen und am hellichten Tag und an der Donau treiben). Der erste Gott, der sich für seine Schöpfung (einen Kaktus) verantwortlich zeigt, geht sang- und klanglos zugrunde. Übrig bleiben seine ungläubigen, unverantwortlichen, hilflosen Kollegen. Bei den Menschen da unten an der Donau, also vor einem Metallregal und einer großen Blechschachtel, in der die Mohren lauern, zwischen den Zuschauern und einem Campingtischchen, zwischen Rehgeweih und anderem Gerümpel, bei den Menschen ist die Arbeit auch nicht mehr das, was sie einmal war. Das Schaufeln nicht und auch die „Frau als Arbeitsplatz“ nicht. Die schwimmt ihrem Macker davon, der sein Glück dann beim Bier und einer Sightseeing-Tour mit den zwei Chinesen sucht. Das ohnehin schon immer innige Verhältnis Achternbuschs zum Gerstensaft: Hier schäumt es über und vertröpfelt sich dann. Die Frau aber wird von zwanzig Negern aufgerissen - in Düsseldorf waren es neun angeschwärzte Bayern in krachledernen Hosen, die mit ihrer Herzenskönigin nach Afrika entschwinden, dort in Tiefschlaf verfallen und erst vom Floß der Chinesen wieder geweckt werden.

Ob Achternbusch (51), der bayerische „böse Bub vom Dienst“, literarisch in der Tradition Eugene Ionescos, Becketts und des absurden Theaters steht, ob er ein unglücklicher Glücksfall für das Theater der achtziger Jahre war, ob er ein verkanntes Genie ist oder jenes „Nihil“, zu dem sein Frosch (im gleichnamigen Stück) strebt, indem er aufgeblasen stotternd zum Nil will, das möge dereinst die Literaturwissenschaft erforschen, diskutieren, erwägen. Heute jedenfalls kitzelt sein Spiel mit dem „gesunden Rassismus“ Augen und Ohren. Der Regisseur hatte dazu keine entschiedene Meinung. „Ja, dös is‘ eben die Auseinandersetzung, weil er in Bayern lebt“, meinte Stephan Barbarino, „und Rassismus is‘ ja immer a Problem, wenn Leute geknechtet werden von andern, die sich aufspuin, als wärns irgendwie besser. Er nimmt ja Neger als Synonym für Leute, die sich wehrn sollt'n. Wir sind irgendwie alle dui Neger.“

Irgendwie. Inwieweit und wer auf welche Weise da im Düsseldorfer Schauspielhaus „die Neger“ sein sollten, war auch durch intensives Grübeln nicht herauszufinden: die Theaterprofis, die sich die Augen rieben angesichts des dilettantischen Getues da unten auf den Brettern; die Angehörigen, die ab und zu pflichtschuldig lachten; die Premierenbesucher, die freundlich klatschten, um nicht des Banausentums verdächtigt zu werden (und dann beim Abgang in Grüppchen lauthals die Zusammenhanglosigkeit der Szenen und den fehlenden Sinn des Ganzen beklagten)? Sinn konstituiert sich bei Achternbusch gegebenenfalls durch Abstinenz von der Logik, gar von höheren Absichten. Vieles ist bloß Echolot des dumpfen Geraunes an der Donau. Ein Zusammenhang allerdings ist zwischen dem Abgesang der Götter und dem Absterben der Konifere oder des Laubbaumes durchaus zu erkennen, zwischen dem uneinsichtigen Sinn aller Arbeit und dem Geplapper des Papageis, zwischem dem Tod des Gottes und dem Abkratzen der Sau. Das Schwein vollbringt immerhin zu den Worten „Panorama! Panorama!“ seine letzten Zuckungen.

Achternbusch Textvorlage trägt den Untertitel Libretto. Seine Szenen sind Arien aus dem Endspiel der beschädigten Welt, Rezitative ohne Botschaft und Ensembleszenen des gegenseitigen Unverständnisses. Der Regisseur Barbarino wollte das Stück, wie er sagte, „möglichst direkt“ erzählen, weil es doch eine so direkte Sprache spreche. Was er da erzählen sollte, mag er nicht so recht verstanden haben; dafür aber packte er um so direkter zu. An der Donau erscheint als leichte Brise aus Südost, eher als Wolkenschwade von einem toten Arm der Donau als von den giftig-grünen Fluten des Hauptstroms. Mit diesem Stück befindet sich Achternbuschs Arbeit fürs Theater im Auslaufen. Schon 1981 versprach er, feierlich gedruckt: „Ich habe jetzt sieben Theaterstücke geschrieben, und damit ist mein Theaterstückeschreiben beendet.“ Und er bekannte: „Ich muß sagen, daß mich das Theater nie fasziniert hat.“ Und: „Im Theater hockens drin, warum? Das ist doch Masochismus, oder?“

Frieder Reininghaus