Preisfreigabe in Polen erhöht Warenengpässe

Einschneidende Maßnahmen ab 1. Januar / Die Neutralisierung des Schwarzmarktes ist kein Beitrag zur Linderung der Armut  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Ab dem 1. Januar werden praktisch alle Inlandspreise in Polen freigegeben. „Unser Vorbild ist der Markt für Lebensmittel“, erklärte Bin nenhandelsminister Aleksander Mackiewicz, „dort herrscht nun eine Art Gleichgewicht zwischen Geld und Ware. Andererseits sind wir uns bewußt, daß die Freigabe ähnlich wie beim Lebensmittelmarkt zu Preissteigerungen führen wird. Es wird zwar alles teurer, aber dafür auch in Läden erhältlich sein.“

Tatsächlich hat sich dank der Hilfslieferungen von Lebensmitteln durch die USA und die EG das Angebot in den Läden erhöht. Weil die Lieferländer aber zur Bedingung gemacht haben, daß die Waren zu freien Marktpreisen verkauft werden, haben Polens Arme wenig von dieser Ausweitung des Warenangebots. Sie können sich EG-Butter genausowenig leisten wie polnische Butter, deren Preis nach der Freigabe der Lebensmittelpreise astronomische Summen erreicht hat. So schoß der Butterpreis um 1.000 Prozent nach oben. Kein Wunder, daß der Butterverbrauch seitdem um 30 bis 40 Prozent zurückgegangen ist.

Dem Lebensmittelsektor kommt eine wichtige Akkumulationsfunktion zu: Der Erlös aus den Hilfsleistungen fließt in einen Spezialfonds, mit dem unter Aufsicht einer gemischt zusammengesetzten Kommission später private Landwirte, mittelständische Unternehmen und ganz allgemein die Demonopolisierung der Landwirtschaft und des Handels unterstützt werden soll. Bezahlt wird diese Umstrukturierung der polnischen Ökonomie also letztlich durch die Verbraucher, deren rückläufige Realeinkommen durch die horrenden Preissteigerungen weiter geschröpft werden. Einstweilen allerdings begünstigen die Hilfsleistungen noch die existierenden Monopolstrukturen, weil die Waren allein über das Netz der monopolistisch organisierten Handelsgenossenschaften vertrieben werden. Diese dürfen zwar keinen Gewinn erwirtschaften, behandeln dafür aber die EG -Lieferungen wie polnische Waren. Was auch heißt, daß sie durch eine überbordende Bürokratie unverhältnismäßig hohe Selbstkosten auf die Verbraucher abwälzen können.

Monopole aufbrechen

Damit wird zweierlei deutlich: Die westliche Nahrungsmittelhilfe trägt kaum dazu bei, in Polen sich ausbreitende Armut zu lindern. Dies greift erst in der zweiten Phase, wenn der Erlös aus dem Verkauf der Waren über die Spezialfonds in Form von Krediten lokalen Schlächtereien, Transportunternehmen oder Molkereien zufließt, diese die bisherigen Monopolstrukturen durchbrechen können und Kosten und damit Preise gesenkt werden. Zum zweiten läßt sich diese Form von Hilfe aber auch nicht mißbrauchen. Angesichts der hohen Preise lohnt die Umleitung der Waren auf die schwarzen Märkte nicht. Berichte über polnische Schwarzhändler, die beispielsweise auf dem Berliner Polenmarkt Lebensmittel aus EG-Lieferungen verhökern sollen, sind reine Erfindungen. Diesen Sachverhalt bestätigt auch die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen im Bundestag. Allerdings ist auch bekanntgeworden, daß ein Teil der von der EG gelieferten 10.000 Tonnen Rindfleisch an Restaurants geliefert und somit dem direkten Verbrauch entzogen wurde.

Differenzen im Kabinett

über Zollpolitik

Um in den ab 1. Januar 1990 beginnenden weiteren Prozeß der Preisfreigabe eventuell intervenieren zu können, wird sich die Regierung Eingriffsmöglichkeiten offenhalten. Dazu zählt auch der Aufbau von Vorratslagern: „Wir kaufen zur Zeit beispielsweise Getreide auf Vorrat auf, unser Reservefonds für Interventionskäufe und -verkäufe wird um zwei Billionen Zloty aufgestockt werden.“ Zugleich sollen auch vom Import konkurrenzfördernde Impulse ausgehen. Dem steht allerdings entgegen, daß die Ministerien für Außenhandel und Finanzen Importzölle zum Ausgleich des Budgetdefizits vorgesehen haben. Der gewünschte Effekt einer starken Preiskonkurrenz für die inländischen Produzenten wird auf diese Weise eingeschränkt.

Umgekehrt hat sich Marcin Swiecicki, Minister für Außenhandel, kurz vor Mackiewicz‘ Ankündigung gegen die Kontingentierung des Exports ausgesprochen. Die aber möchte Mackiewicz beibehalten: „Wir müssen verhindern, daß weiterhin wie bisher Rohstoffe ausgeführt werden.“ In der Tat ist dies einer der Gründe für Polens Zahlungsbilanzprobleme. Statt etwa Zink und Stahl zu verarbeiten und als Fertigprodukte zu exportieren, führt Polen in hohem Maße Rohstoffe aus, die es dann zum Teil als Investitionsgüter wieder gegen harte Devisen zurückkaufen muß.

Allerdings ist dies nicht nur ein Problem der Zölle, sondern vor allem der polnischen Industriestruktur, die auf das Niveau eines Drittweltlandes zurückgefallen ist. Obwohl sich so Mackiewicz ganz als Anhänger der freien Marktwirtschaft geriert, wird er um gewisse Bremsen nicht herumkommen: Die Einführung der vollständigen inneren Konvertibilität des Zloty ebenfalls ab 1. Januar wird zunächst den Export auch von Rohstoffen fördern. Auf einen Schlag werden die Betriebe, die bisher dem ungünstigen Zwangsumtausch ihrer Exporteinnahmen unterworfen waren, erheblich höhere Einnahmen verbuchen können. Diese Seite der Medaille soll dann durch Kontingente - wenn auch vorsichtig

-gehemmt werden. Allerdings will die Regierung Preissprünge beim Import mit Staatsaufträgen abfangen. So sollen weiterhin Medikamente und Bücher zentral importiert werden.

Da polnische Wirtschaftsexperten davon ausgehen, daß der Import nur einen geringen Einfluß auf die Preisbildung des immer noch monopolistisch organisierten Handels haben wird, bemüht sich das Binnenhandelsministerium durch weitere Maßnahmen, die Monopolstrukturen aufzulösen. Leicht ist das nicht. So vermietet die große Lebensmittel-Handelskette „Spolem“ zwar bereits Läden an Privatleute, doch ohne den erhofften Erfolg: Vermietet wird vorwiegend in ländlichen Gegenden, wo der Handel auch schon für Spolem wenig ertragreich war. Zum anderen verwandeln viele Händler die Läden dann in Modeboutiquen. Mit importierter Kleidung ist nämlich wesentlich mehr Gewinn zu machen als mit Brot und Wurst. Künftig sollen daher die Läden nur noch vergeben werden, wenn dort weiterhin Lebensmittel verkauft werden.

Den Aussichten für das neue Jahr dürften viele Polen je nach ihren finanzielle Reserven mit gemischten Gefühlen entgegensehen. Dem Schwarzmarkt wird mit der Preisfreigabe weitgehend der Garaus gemacht, doch dafür werden auch in den staatlichen Läden Schwarzmarktpreise zu zahlen sein.