Bewohner greifen zu Gummiknüppel

Mit Tränengas und illegalen Bautrupps terrorisieren Immobilienhaie Mieter in Mainz  ■  Aus Mainz Joachim Weidemann

Der Mieter Klaus Kuhfeld liegt auf der Lauer. Mißtrauisch öffnet er die Tür. Man kann ja dieser Tage keinem mehr trauen. Vor kurzem erst platzte ein Hüne mit Irokesenkamm und Bullterrier in das Doppelhaus 23-25 der Mainzer Walpodenstraße. Er stieg aus seinem Ami-Schlitten, stampfte durch den 93-Familien-Wohnblock und ließ wissen, er sei der Aufpasser des neuen Verwalters.

Der Alptraum scheint ein Schrecken ohne Ende zu sein. Er begann im August, als der Eigentümer wechselte. Bautrupps fielen wenig später ein und brachen im vierten und fünften Stock Wohnungen auf, deren Mieter nicht zu Hause waren. Sie rissen Decken ein, schmissen die Einrichtung auf den Müllcontainer, zerschlugen die Klos und Duschen auf den Fluren. Klaus Kuhfelds Taschenlampe streift Zimmer für Zimmer: Überall liegen Schutthaufen, lose baumeln Elektrokabel von den Wänden. Kein Wunder, die Mieter flohen zuhauf.

Und dennoch harren einige Mieterfamilien aus. Auch als letzte Woche der Terror eskalierte: Irgendeiner versprühte Tränengas im vierten Stock, doch keiner hat gesehen, wer es war. Ein älterer Mieter, der an Asthma und Herzbeschwerden leidet, mußte zum Arzt. Die Polizei kam und beschwichtigte mit dem Hinweis, die Konzentration sei ja nicht so schlimm. Ihr Pressesprecher Jo Ludwig zur taz: „Wir waren da und haben den Fall aufgenommen. Aber das ist eben Privatrecht, da können wir nichts machen.“

Die Mieter indes fühlen sich bedroht und von der Polizei im Stich gelassen. In der Walpodenstraße herrscht Anarchie die Anarchie der Immobilienhaie. Wen wundert's, daß die Mieter da zur Selbstjustiz greifen: Bewaffnet mit Gummiknüppeln und Gaspistolen, warten sie den nächsten Einsatz der Bautrupps ab. Zugleich laufen Strafanzeigen gegen den Bautrupp wegen Körperverletzung, Hausfriedensbruch und Beleidigung.

Die Hintermänner allerdings blieben bislang ungeschoren. Eigentümer des Gebäudes ist laut Grundbuch der Hannoveraner Geschäftsmann Gerold Kotmann, Chef der Investmentfirma HCA -AG. Er ersteigerte das heruntergekommene Gebäude für 1,5 Millionen Mark. Zwar verkaufte Kotmann es kurz darauf für satte 4,5 Millionen Mark an die Königsberger Firma Messedomizil (MD). Doch zugleich erwirkte der findige Geschäftsmann beim Landgericht Frankfurt eine einstweilige Verfügung, die der MD die Eintragung ins Grundbuch verbot.

MD-Chef Ernst Wendenburg vermutet hinter dem obskuren Geschäftsgebaren, daß Kotmann noch mehr Geld herausschlagen wolle. Und in der Tat: Inzwischen preist die Frankfurter Firma IPM Dr. Bauer & Partner das Doppelhaus in der Walpodenstraße für 5,2 Millionen Mark an. Diesmal lautet der Vermerk auf der Objektbeschreibung, die der taz vorliegt: „Nach Auskunft des Verkäufers ist das Objekt leer“. Eine glatte Lüge! Denn noch immer leben 30 Familien im Haus, mit gültigen Mietverträgen. Daß die Mieter ihr Recht kennen, ist nicht nur Kotmann ein Dorn im Auge, sondern auch Wendenburg. Ihn bezichtigen einige Mieter sogar, mit Kotmann gemeinsame Sache zu machen. Immerhin war es Wendenburg, der die Bautrupps beauftragte und der nun die Arbeiten aufgrund des Widerstands der Hausbewohner stoppte.

Wendenburg hat gezahlt - nun will er sanieren, von Grund auf. Daß das von ihm beauftragte Subunternehmen illegale Leiharbeiter aus München und Augsburg ankarrte, stört ihn wenig. Ebensowenig, was aus den Mietern werden soll, unter denen einige Sozialfälle sind. Doch Oberbürgermeister Hermann-Hartmut Weyel (SPD) erwägt einzugreifen: Eventuell springt die stadtnahe Firma Wohnbau ein, um dem Spekulationsgerangel ein Ende zu machen. Wenn nicht, dann weiß Klaus Kuhfeld schon, was in der Walpodenstraße bevorsteht: „Dann gibt's hier Mord und Totschlag!“

jow