Jung talken ohne Carrell

■ Dritte Bremer Junioren Talkshow im „Deutschen Haus„/ Rezensentin wurde im Gespräch gestört

Zunächst die lange Suche nach der dritten Bremer Junioren Talkshow, durchs Restaurant geht es („nehmen Sie den Lift in den zweiten Stock“), durchs Cafe („einen Stock höher bitte“) und den Bremer Industrieclub („direkt unter uns“). Dann eine große Flügeltür mit der Aufschrift „Festsäle“. Vorsichtig die Tür öffnen, um allzuviel Aufsehen zu vermeiden; im selben Moment

heften sich sechs Augenpaare auf die Eintretende.

Die irritierte Frage an die zumeist recht betagten Anwesenden, ob es sich hier um die Bremer Junioren Talkshow handle, wird aufs freundlichste bejaht. Taschen und Mäntel werden vom Stuhl gezogen, ein Platz am runden Tisch angeboten. Übersiedler sind zur Plauderstunde geladen, „Erste Eindrücke in der BRD“ sollen ausgetauscht werden, die fünf Damen und der Herr plaudern recht angeregt von Deutsch zu Deutsch. Die beiden einzigen Juniorinnen, so soll sich bald zeigen, stammen aus der DDR, die eine ist geflüchtet, die andere zu Besuch.

Inzwischen ist auch die Presse angeregt am Gespräch beteiligt, als der angekündigte Moderator Jens Schmidtmann wehenden Haares an uns vorbei zur Tribüne eilt. Trotz der recht vereinzelten Gäste ergreift er das Mikrofon und verspricht, daß es nun bald

beginnen werden. Otto Wanz, der im Programm Versprochene, sei fälschlich bereits gestern dagewesen und heute dafür unabkömmlich. „Der hat sich das letzte Mal schon verleugnen lassen“, raunt die Dame von gegenüber. Der angekündigte Radio Bremen Star würde aber ganz bestimmt noch kommen.

Es wären ja auch recht wenig Interessierte heute da, und dabei seien die Senioren-Talkshows doch der Hit, da wäre der Saal voll bis in die letzte Ecke. Das kann wieder die Dame von gegenüber bestätigen, „Ja, als Rudi Carrell da war, da kam ich garnicht mehr rein.“ Herr Schmidtmann freut sich und wird sie noch öfter fragen , wie es denn gewesen war, als Rudi Carrell da war. Aber Rudi hin 'Rudi her, der Hit Senioren-Talkshow habe mal genauso klein angefangen.

Nachdem die Anwesenden noch einen Moment durch flotte Discomusik in Form von Peter

Maffei am Gespräch gehindert wurden, geht es los. Herrn Schmidtmann ist es zunächst ein Anliegen, sein Anliegen an die öffentlich rechtlichen Anstalten hier zu formulieren. Die taz lächelt geschmeichelt und schreibt gewissenhaft mit. Allgemeinvesorgung...Unterhaltung...Information...keine Amischnulzen. Unterhaltungsshows wie diese seien gefragt. Ein Statement, das auch den leersten Zuschauerraum nicht erschüttern kann. Dabei haben sich noch zwei weitere Herren aus der DDR eingefunden, die sich erstmal rechtfertigen müssen, warum sie denn die ganzen anderen aus dem Auffanglager nicht mitgebracht hätten. Wenn uns Herr Schmidtmann nicht auch im weiteren Verlauf ständig beim Gespräch gestört hätte, es wäre ein interessanter Nachmittag geworden, auch wenn die Dame von gegenüber lieber den Rudi Carrell dabei gehabt hätte. Kerstin Dreyer