„Sexuelle Nötigung im Praxisfeld eines Dozenten“

■ Im Uni-Studiengang Behindertenpädagogik steht ein Therapeut unter Verdacht, sich an Klientinnen zu vergreifen

Der Studiengang „Behinderten pädagogik“ an der Bremer Universität ist vergleichsweise klein und überschaubar. Ganze neun HochschullehrerInnen sind hier tätig. In den Veranstaltungen geht es um „therapeutische Konzepte“, um „Moral und Ethik“ und um „frühkindliche Entwicklungsstörungen“. Seit zwei Wochen ist es unruhig am Studiengang, die Gerüchteküche brodelt.

Der Anlaß: Studentinnen hatten auf einer öffentlichen Frauenveranstaltung berichtet, einer der sieben männlichen Dozenten am Studiengang Behindertenpädagogik belästige Frauen in seiner psychotherapeutischen Praxis. Nachdem diese Vorwürfe „öffentlich“ geworden waren (taz 4.12.), wurden sie zum Tagesthema. Mißtrauen machte sich breit. Unter den Studierenden

wurde gerätselt, „wer“ von den Dozenten „es“ denn nun sei. Unter den HochschullehrerInnen, so der Professor Rudolf Kretschmann, „wurde immer nur ein Name gehandelt“.

Am Dienstag, lud der studentische Studiengangsausschuß die BehindertenpädagogInnen zu einer Vollversammlung. Thema: „Sexuelle Nötigung im Praxisfeld eines Dozenten“. Auch vier

HochschullehrerInnen waren erschienen. Die Professorin Barbara Rohr, der eine Studentin in der Sprechstunde konkret über die Vorwürfe berichtet hatte: „Ich war fertig, ich war fast eine Woche arbeitsunfähig.“ Als eine Teilnehmerin nach „Fakten“ fragte, zählte Barbara Rohr auf: Es solle „direkte Übergriffe gegenüber Klientinnen“ in der nebenberuflichen psychotherapeutischen Praxis gegeben haben. Der Dozent habe „sogenannte gynäkologische Untersuchungen“ an den Frauen durchgeführt. Auch habe es bereits ein Gerichtsverfahren wegen „Telefonterror“ gegeben.

Diese gravierenden Vorwürfe ließen sich jedoch auch auf der Vollversammlung nicht weiter präzisieren, da keine der betroffenen psychisch labilen Klientinnen bisher den Mut gefunden hatte, vor der Polizei auszusagen. Rechtliche Möglichkeiten, so ein Studentenvertreter gebe es für Angehörige der Universität nicht, da „die Sache nicht an der Uni und nicht Studentinnen passiert“ sei. Der Student forderte die HochschullehrerInnen angesichts der Vorwürfe auf, „sich zu verhalten“. Feministische Forschung und Lehre sei in allen Veranstaltungen von Nöten.

Die Hochschullehrerin Barbara Rohr: Die Beziehung Therapeut - Klientin müsse endlich im Studiengang auch als „patriarchalisches Herrschaftsverhältnis“ gesehen werden. Bisher sei diese Sichtweise von ihren männ

lichen Kollegen immer als „branchenfremd“ abgetan worden.

Doch bei allen Ermahnungen, das Thema der sexuellen Gewalt nicht „zu individualisieren“ und auf den konkreten Fall im Studiengang zu beschränken, stand während der Vollversammlung immer mehr im Raum, „zu sagen, wer.“ Die Hochschullehrerin Barbara Rohr erklärte dann, sie sei dazu bereit, auch wenn sie damit eine Verleumdungsklage riskiere.

In diesem Moment ergriff jedoch in der Versammlung der verdächtigte Mann selbst das Wort. Er sprach in verunsichert -schwammigen Sätzen und bestätigte, daß gegen ihn ein Verfahren wegen Telefonterror gelaufen sei, doch sei dieses eingestellt worden. Er berichtete: „Als ich den taz-Artikel gelesen habe, war ich zunächst geneigt, darüberhinweg zu lesen, weil ich dachte, das geht mich nichts an. Mir sind aber dann verschiedene Situationen in den Sinn gekommen, bei denen ich einigen nicht gerecht geworden bin. Aber ich hoffe, daß ich niemanden vergewaltigt habe.“

Zwei HochschullehrerInnen kündigten an, den betreffenden Kollegen auf ihrer nächsten internen Versammlung, „zur Rede zu stellen“. StudentInnen überlegen einen Veranstaltungsboykott und die Forderung nach „Suspendierung“. Sie wollen jedoch zunächst verschiedene Gremien bis hin zum Senat aufffordern, die Vorwürfe zu untersuchen.

B.D.