„Da muß 'ne Gewerkschaft rin“

■ Bei den Ostberliner Bus- und StraßenbahnfahrerInnen wächst der Ärger über Lohn- und Arbeitsbedingungen / Protestversammlung von 80 BVB-Kutschern im Treptower Betriebshof

An sein Revers hat er die Nadel für 20 Jahre unfallfreie Fahrt gesteckt, doch seiner Ehrenurkunden wird Busfahrer Dieter Lambrecht (50) nicht mehr froh.

Nur noch acht seiner insgesamt 31 Dienstjahre sollen ihm so will es die neue Tarifregelung für das BVB-Fahrpersonal auf den Lohn angerechnet werden. Aus Protest gibt Lambrecht jetzt dem Genossen Lemke, dem Leiter des Omnibus -Betriebshofes Teptow, die Urkunden zurück, die er für jahrzehntelange Verdienste um den „Aufbau des Sozialismus“ erworben hat. „Der Honecker“, schimpft Lambrecht, „hat 28 Jahre meines Lebens zerstört. Und jetzt will man mir diese Jahre auch noch zerstören, wenn es um den Lohn geht.“

Etwa 80 der 233 Busfahrer des Treptower Betriebshofs haben sich am Mittwoch vormittag im „Kulturraum“ des BVB-Gebäudes versammelt. Eigentlich müßten Lambrecht und seine Kollegen dankbar sein. Bisher summierte sich der Betrag auf Lambrechts Lohnstreifen auf 1.136 Mark, seit der Lohnerhöhung am 1. Dezember sind es immerhin 1.303 Mark pro Monat. Trotzdem schlägt Betriebshofleiter Lemke und Obermeister Bresinski kein Dank, sondern Ärger entgegen. Immer noch verdiene jeder „Kieskutscher mehr als wir, die wir Menschen transportieren“, erregt sich ein Fahrer.

Besonders empört sind die Arbeiter über die höheren Strafabzüge, die die Kombinatsdirektion gleichzeitig verhängt hat. Eine „Diffamierung“ ihrer Arbeit sei das, finden die Arbeiter. Wie sollen sie denn „Qualitätsarbeit“ liefern, wenn die „Arbeitsmittel“ nichts taugen. Die Busse seien doch „der letzte Dreck“, ihren Bremsen fehle das Anti -Blockier-System, und die neuen asbestfreien Bremsbeläge, die „bremsen nicht richtig und quietschen dafür“.

In der BVB-Kommission, die die Tarifreform erarbeitet hat, da seien „Leute dabei, die haben den Bus nicht mal als Fahrgast gesehen“, vermutet ein Busfahrer. Ein Kommissionsvertreter, der Rede und Antwort stehen könnte, fehlt in der Treptower Versammlung. Bresinski und Lemke können nur versprechen, die Protesteingaben und Änderungsvorschläge ihrer Beschäftigten weiterzuleiten.

Verglichen mit ihren Kollegen stehen die Treptower Busfahrer offenbar noch relativ gut da. Obwohl ihr Betriebshof direkt hinter der Grenze steht, am Übergang Schlesische Straße/Puschkinallee, haben nur etwa zehn Fahrer rübergemacht. Den Ostberliner Busfahrern haben die offenen Grenzen - anders als ihren Kollegen im Westen - auch keine zusätzlichen Überstunden abverlangt.

Nur der Betriebsparkplatz ist jetzt dauernd von den Autos belegt, die West-Berlin-Besucher aus der „Republik“ vor dem Grenzübertritt hier stehen lassen. Bresinski klagt: „Es richtet sich ja keiner mehr nach der Polizei.“ Aber der Obermeister kann an diesem Vormittag auch erste Zugeständnisse vorweisen. Die spezielle Erhöhung für Meister - 280 Mark pro Monat -, die sei „heute vormittag zurückgekurbelt worden“.

Von den Auseinandersetzungen in anderen BVB-Betriebsteilen haben die Fahrer nur per Gerücht gehört. „Da muß 'ne Gewerkschaft rin“, schimpft Lambrecht. Die müßten „eine größere Rolle spielen“, gibt selbst Bresinski zu, der nach Kollegen-Aussagen ein „Stalinist“, ein „Urkommunist“ ist, der nicht einmal in den Westen fährt, „um seine 100 Mark abzuholen“. Der Treptower Betriebsmann der SED-Gewerkschaft FDGB ist auf der Versammlung gar nicht dabei. Ein Arbeiter: „Der hat keinen Stuhl gefunden, da ist er wieder abgehauen.“

„Wir haben den Kanal voll“, schimpft ein junger Fahrer, der nicht in der grauen, schlechtsitzenden Uniform, sondern im schicken gelben Pullover erschienen ist. „Wenn wir nicht innerhalb kurzer Zeit spürbare Verbesserungen sehen, dann bleiben die Wagen eben stehen, dann ist es vorbei. Jetzt ist Schluß.“ Dafür bekommt er zwar Applaus; doch der Streik -Drohung widersprechen die meisten.

Lambrecht warnt: „Streik ist das allerletzte Mittel. Unsere Republik steckt so im Dreck, da können wir das nicht gebrauchen.“

hmt