Kompromißbereit in die Krisensitzung

■ Rot-grüne Krise: Während der Senatssondersitzung gestern abend zeichneten sich Kompromisse ab / Das Historische Museum soll gemeinsam von Ost und West geplant werden, über den Konflikt in den Kindertagesstätten soll erneut beraten werden / Zitterpartie in Sachen Stromtrasse

Zumindest auf verbaler Ebene hielt sich das Niveau des Koalitionsstreits auch gestern. Er sei nicht „der Kindergärtner“ der AL, erkärte Momper kurz vor Beginn der Senatssondersitzung gestern abend im Rathaus Schöneberg. „Für diesen Job wäre er auch viel zu gut bezahlt“, konterte postwendend die Fraktionsvorsitzende der AL Heidi Bischoff -Pflanz. Momper hatte seine neun SPD- und drei AL -SenatorInnen zu einer Sondersitzung einberufen, um in den umstrittenen Punkten Stromtrasse und Deutsches Historisches Museum (DHM) eine Entscheidung herbeizuführen; außerhalb der Tagesordnung wurde auch nochmals über den Konflikt bei den städtischen Kindertagesstätten verhandelt.

Ein zumindest vorläufiger Kompromiß zeichnete sich gestern in Sachen KiTa-Streik und DHM ab. Auf Antrag der AL sollte das Thema KiTa-Streik von der Tagesordnung genommen werden, damit die zuständigen SenatorInnen Klein, Pätzold und Meisner „nochmal die Köpfe zusammenstecken“, sagte der SPD -Fraktionsvorsitzende Staffelt vor Sitzungsbeginn. In der Frage des DHM hatten die Gegner Kohlscher Pläne Rückendeckung aus der DDR bekommen. In einem Brief an Bundeskanzler Kohl hatten der DDR-Schriftsteller Hermlin und der Präsident der Akadamie der Wissenschaften der DDR, Wekwerth, darum gebeten, das gesamte Projekt zu überdenken (siehe Dokumentation S. 22). Eben darum wollen nun beide Regierungsfraktionen den Kanzler angehen. Sowohl über Standort als auch über Konzept müsse angesichts der Ereignisse in der DDR nachgedacht werden, erklärte Staffelt. Einigkeit zeichnete sich auch darüber ab, daß ein solches Museum nur gemeinsam von Ost und West geplant werden könne.

Unverändert hart waren die Fronten vor der Sitzung bei der umstrittenen Stromtrasse. Während Wirtschaftssenator Mitzscherling bereits seinen Verbleib mit der Annahme seines Konzepts einer 380-KV-Leitung verknüpft hatte, ging AL -Senatorin Schreyer mit ihrem Vorschlag einer 110-KV-Leitung in die Senatssitzung. Die Sitzung dauerte bei Redaktionsschluß noch an.

Endgültig zum Überlauf gebracht wurden die Gemüter zu Anfang der Woche durch ein taz-Interview mit Walter Momper, in dem dieser androhte, die Koalition notfalls platzen zu lassen, wenn bei den Konfliktpunkten Stromtrasse und DHM keine Einigung erzielt werden könne. Momper warf der AL vor, regierungsunfähig zu sein, diese betonte in einem Gegeninterview, sie sei nicht die Jugendorganisation der SPD. Daß die Zeichen auf Sturm standen, wurde gestern morgen deutlich, als die AL überraschend den gemeinsamen Koalitionsausschuß absagte, in dem nochmals über die Stromtrasse beraten werden sollte.

Während auf Senatsebene von seiten der SPD gedroht wurde, notfalls eine Entscheidung durch Abstimmung herbeizuführen und damit einen Bruch der Koalition zu riskieren, ging die Stimmung in beiden Fraktionen in Richtung Fortführung. Ein Bruch der Koalition zu diesem Zeitpunkt sei das Schlechteste, was Berlin passieren könne, war die Meinung im Büro des SPD-Fraktionsvorsitzenden. „Wir können doch in dieser historischen Situation nicht riskieren, die Regierung zu verlieren“, hieß es dort. Eine große Koalition komme überhaupt nicht in Frage, und einen möglichen Wahlkampf nur auf die Person Mompers abzustellen, sei absolut unsinnig. „Wir sind zu Kompromissen bereit, und für Rot-Grün ist doch noch so viel drin“, lautete auch das Urteil des Fraktionssprechers der SPD. Auch die AL-Fraktion signalisierte Kompromißbereitschaft und stellte ihren Senatorinnen für die Senatssondersitzung alle Entscheidungsmöglichkeiten frei. Kurz vor der Sitzung trafen sich der SPD-Fraktionsvorsitzende Staffelt und mehrere Mitglieder der AL-Fraktion zu einem Gespräch. Nach Stafelts Angaben hätten beide Seiten noch einmal ihr Interesse am Fortbestand der Koalition betont. (Lesen Sie auch „Ein Blick zurück nach vorn“, S.22)

anb/kd