piwik no script img

Demokratie für die Untertanen?

König Hussein erprobt die Demokratisierung als Instrument des Krisenmanagements / Aufhebung des 1967 verhängten Kriegsrechts in Aussicht gestellt / Freilassung der politischen Gefangenen / Abschaffung der Regierungsaufsicht über die Zeitungen / Ein Ende der jordanischen Wirtschaftskrise ist nicht abzusehen  ■  Aus Nikosia Walter Gebhard

„Es gibt zwei Regierungen in Jordanien. Die eine sehen wir vor uns. Die andere existiert im Dunkeln: der Geheimdienst.“ Sheikh Abdul-Mun'im Abu Zant, einer der 22 Moslembrüder im neugewählten jordanischen Parlament, läßt keinen Zweifel daran, daß die Unruhen in der Yarmouk-Universität der nordjordanischen Stadt Irbid vom Geheimdienst angezettelt worden sind. Eine Schlägergruppe hatte dort in der vergangenen Woche eine Ausstellung zum zweiten Jahrestag der Intifada zertrümmert und damit Schlägereien zwischen jordanischen und palästinensischen Studenten ausgelöst. Auch für den Abgeordenten Yousef Al Athem steht fest: Die Geheimdienste „stecken ihre Leute in Zivilklamotten, schicken sie in die Unis, schaffen Probleme und verhaften später Unschuldige“. Die Unruhen an der Yarmouk-Universität seien das Werk der „Schattenregierung“ gewesen. Ein Parlamentskomitee soll die Vorfälle jetzt untersuchen.

Vom Geheimdienstchef zum Premierminister

Vor dreieinhalb Jahren hatten Sicherheitstruppen in dieser Universität gleich 20 Studenten totgeprügelt. In der vergangenen Woche gab es nicht einmal Verletzte. Auch dies ist ein Zeichen des Wandels in Jordanien. Jedoch ist es zugleich ein Beweis dafür, daß die rasante Demokratisierung im Königreich am Jordan auf Widerstand stößt. König Hussein hat seinem Lande eine Demokratisierung verordnet. Bei den Parlamentswahlen verlor die alte Regierung ihre Mehrheit. Moslembrüder, Linke und Nationalisten gewannen über 50 Prozent der Sitze. Allen Unkenrufen zum Trotz hielt der König an der neuen Orientierung fest. Der Anfang Dezember zum Premierminister ernannte Mudar Badran, selbst ehemals Geheimdienstchef, stellte sich an die Spitze dieser Bewegung: Eingezogene Pässe wurden zurückgegeben und politische Gefangene wieder einmal freigelassen. Die im Sommer vergangenen Jahres über die Zeitungen verhängte Regierungsaufsicht wurde abgeschafft und der vor zwei Jahren verbotene Schriftstellerverband wieder zugelassen. Dessen Vorsitzenden Khaled Karaki machte Badran sogar zu seinem Kultusminister.

Demonstrationen

zur Zeit erlaubt

Daß es sich dabei um mehr als kosmetische Änderungen handelt, wurde bereits wenige Tage später deutlich. Im nördlich von Amman gelegenen Palästinenserlager Baqa nutzten Arafat-Gegner die neuen Freiheiten, um ihre Solidarität mit der Intifada zu demonstrieren. Zusammenstöße mit der Polizei gab es erst, als die Palästinenser die Verbindungsstraße nach Syrien blockierten. Im Stadtgebiet von Amman gingen Menschen gleich an vier aufeinanderfolgenden Abenden für die Intifada auf die Straße, ohne daß die Polizei gewalttätig wurde. Nur am Dienstag vergangener Woche spitzte sich die Situation zu, als 1.000 Demonstranten mit dem Ruf „Wir müssen die Amerikaner rausschmeißen“ zur US-Botschaft zogen. Die Polizei riegelte das Gebiet ab. Moslembrüder und Nationalisten überredeten die Demonstranten, ihre Route zu ändern.

Ein gefährliches Spiel

Der Demokratisierungsprozeß wird von mehreren Seiten torpediert. Prosyrische Palästinensergruppen versuchen, die Situation zu nutzen, um Arafats PLO als angepaßte Kraft zu entlarven. Was auf den ersten Blick lediglich aussieht wie Solidaritätsbekundungen mit der Intifada, erweist sich bei genauerem Hinsehen als gefährliches Spiel: Das labile Gleichgewicht zwischen Palästinensern und Jordaniern im Königreich wird gefährdet. Ein Scheitern der Reformen wäre Wasser auf die Mühlen der Despoten in der arabischen Welt. Auch die Hardliner aus dem Lager der traditionellen Königsanhänger drängen Hussein zur Rücknahme der neuen Freiheiten und wollen zumindest das Übergreifen des Liberalisierungsprozesses auf die Provinz verhindern. Die Destabilisierung des prekären palästinensisch-jordanischen Verhältnisses ist hierfür ein bewährtes Mittel, dessen Einsatz von den Hardlinern in Israel voller Schadenfreude beobachtet wird. Aber die Destruktionsversuche dürften erfolglos bleiben.

Anfang der Woche verkündete Ministerpräsident Badran, das seit 1967 geltende Kriegsrecht werde ab sofort nicht mehr angewandt und in naher Zukunft aufgehoben. Außerdem kündigte er an, daß hohe Beamte und Politiker künftig ihre Einkommens - und Vermögensverhältnisse offenlegen müssen. Die Rechnung, daß die Opposition sich zurückhalten werde, um die neuen Freiheiten nicht zu gefährden, scheint aufzugehen.

Die Moslembrüder nutzen ihren neuen Spielraum betont vorsichtig, die PLO hält die Palästinenser zurück. Der König hat die Gelegenheit ergriffen, sich in den Hintergrund zurückzuziehen und von dort aus zu agieren.

Demokratisierung als Beruhigunspille

Dieser neue Trend in der jordanischen Innenpolitik beruht aber nicht in erster Linie auf plötzlicher Liebe zur Demokratie und Freiheit, sondern vor allem auf dem Kalkül, daß politische Reformen die schweren Wirtschafts- und Finanzprobleme sowie die zahlreichen Bestechungsaffären der vergangenen Monate und Jahre in den Hintergrund drängen werden.

König Hussein ist gut beraten, an einer zügigen Fortsetzung dieser Politik festzuhalten, da die Zeit drängt. Die politische Macht soll auf viele Schultern verteilt sein, wenn die Beruhigungspille Demokratie nicht mehr wirkt und der Unmut über die drastische Verschlechterung der Lebensverhältnisse in Jordanien erneut laut wird - ein politisches Experiment, das in der arabischen Welt seinesgleichen sucht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen