Kommunismus, Kintopp und Commercials

■ Amerikas Anzeigenindustrie entdeckt die brückenbildende Message des Berliner Szenarios / Hollywood „featured“ Michael Douglas als Lech Walesa

Das Anzeigenphoto im 'New York Times Magazine‘ zeigt, wie begeisterte Ostberliner über die Mauer klettern. „Nun gibt es nichts mehr“, so lautet die Schriftzeile der Schuhreklame, „was Sie noch davon abhalten kann, zu unserem Weihnachtsschlußverkauf zu kommen.“ Amerikas Anzeigenindustrie hat die Message des Mauerbruchs entdeckt. Mit den Bildern von der Transformation der systemisch gespaltenen Welt in ein kapitalistisches Gesamtkunstwerk wird der Ausverkauf des Kommunismus in den USA nahtlos in die vorweihnachtliche Shopping-Orgie integriert.

Doch die Anzeigenfirmen sind vorgewarnt. Die Medienindustrie, die am 11.November mit ihren Nachrichten -Conferenciers als erste US-Branche auf den porös gewordenen Zementring sprang, ist seitdem böse von der Mauer gefallen. Während sich die schnell eingeflogenen Fernsehreporter der großen US-Networks vor der historischen Kulisse des Brandenburger Tores selbstzufrieden im Scheinwerferlicht sonnten, schaltete das Fernsehpublikum daheim auf den anderen Kanal um. Als nach zwei Wochen die für den kommerziellen Erfolg der Fernsehstationen wichtigen „ratings“ (Einschaltquoten) veröffentlicht wurden, war für die Medienbranche die Sache klar. Was den Zuschauern bei der Berlin-Story fehlte, waren Bilder der Gewalt, wie sie den Einstellungen auf dem Platz des Himmlischen Friedens, in „Copkiller“ oder El Salvador erst die richtige dramatische und visuelle Würze verliehen. Die Werbe-Designer in New Yorks Madison Avenue glauben allerdings, auf diese Brutalo -Effekte als Ingredienz für ihre vorweihnachtlichen Werbefeldzüge ausnahmsweise einmal verzichten zu können. „An der Berliner Mauer sind Träume Wirklichkeit geworden“, erklärt Victor Zast, Vize-Präsident des Kosmetikunternehmens 'Quintessence‘, das ebenfalls Mauerszenen in seine jüngste Anzeigenkampagne eingebaut hat. „Das ist genau, was wir unseren Kunden mit unseren Produkten täglich versprechen: die Verwirklichung ihrer Träume.“ Statt den zaghaften Versuch zu unternehmen, die Wiedervereinigung politisch aufzuhalten, sollten die Herren Bush und Mitterrand vielleicht einfach ein paar Zugladungen mit 'Quintessence' -Produkten in die DDR schicken.

Auch Pepsi, Marktführer im Ostgeschäft mit der flüssig -klebrigen Coka-Droge, hofft mit seinem Mauer-Commercial vom Halleluja-Chor aus Händels Messias untermalte Dokumentarfilmszenen - endlich sein systemtranszendentierendes Image ausnützen zu können. Wozu allerdings das Telephonunternehmen AT&T in seinem geplanten Werbespot Wiedervereinigungsszenen einfügen wird, ist noch unklar; doch wohl kaum: „Die Mauer ist offen, Tante. Du brauchst nicht mehr anzurufen!“ All diejenigen amerikanischen Fernsehzuschauer, für die Nordirland im Nahen Osten liegt (weil auf beiden Schauplätzen so viele „Terroristen“ vorkommen), für die Berlin immer noch auf der Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland angesiedelt ist (wie sonst könnte es geteilt gewesen sein), und die das „Balkan-Problem“ ständig mit dem „Vulkan-Problem“ aus der Science Fiction-Serie Star Trek verwechseln (ungeheure Brainpower bei lächerlich zugespitzten Ohren), all denjenigen Perzeptionsweltmeistern wird der jetzt praktizierte Einsatz historischer Filmszenen in Werbespots die Optik noch mehr durcheinanderbringen. Wo mit dem Shopping-Trip jetzt auch daheim Geschichte gemacht werden kann, verkommt Osteuropa ganz zum Fantasyland.

Dies ist vermutlich genau das Zielpublikum, auf das es Hollywood mit seinem geplanten Doku-Drama-Schinken über das Leben von Lech Walesa abgesehen hat. Nach Batman und Lethal Weapon II nun der Film über den Starkstromelektriker aus Gdansk, der mit seinen Mannen in Polen den Kommunismus einfach kurzgeschlossen hat. Sollte die Hauptrolle in diesem Film wirklich, wie gemunkelt wird, an Robert Wagner oder Michael Douglas gehen, dann wäre in der großen Simulation, die wir Amerika nennen, mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes nun endgültig die Grenze zwischen Realität und Fiktion aufgehoben.

Rolf Paasch