Deutscher Witz

■ Julian Barnes‘ Vorwort zur englischen Ausgabe von Volker Kriegels „Kleine Hundekunde“

Dieses bissige, aber bezaubernde kleine Meisterwerk, das Ihnen hoffentlich viel Vergnügen bereiten wird, steht vor der Schwierigkeit, bei dem englischen Leser drei bedauerliche Vorurteile überwinden zu müssen. Das erste ist unsere unerschütterliche Überzeugung, daß die Deutschen, obwohl selbst immer wieder Anlaß und Objekt ausgelassener Heiterkeit, keinerlei Humor besitzen. Das zweite ist unsere beinahe schockierend tolerante Auffassung, eine Sammlung von schlecht gezeichneten Karikaturen könne ebenso amüsant sein wie ein wirklich gut gezeichnetes Buch. Und das dritte ist unsere unerklärliche, geradezu suchtartige Vorliebe für Bücher über Katzen.

Die Engländer waren immer schon der Meinung, der deutsche Sinn für Humor sei in etwa so real wie die Schweizer Marine (obwohl ich persönlich schon immer überzeugt war, daß die klugen Schweizer im Falle eines Falles irgendwo im Mittelmeer tatsächlich eine kleine Flotte versteckt haben). Dieses eigentlich recht harmlose Vorurteil mag durchaus beruhigend wirken und sogar eine bestimmte Funktion erfüllen - nach dem Motto: Die mögen zwar die ganzen Deutschmarks und die meisten BMWs haben, dafür haben wir immerhin einen Sinn für Humor; allerdings wird es immer schwieriger, diese Meinung aufrechtzuerhalten. Lange Jahre hindurch hatte ich in dieser Beziehung genauso starke Vorurteile wie alle anderen auch, obwohl sich die Anzeichen mehrten, daß die Deutschen tatsächlich das Lachen gelernt hatten. Zuerst mußten wir zugeben, daß die Deutschen natürlich durchaus etwas von Satire verstanden (Grosz, Brecht/Weill und andere). Ironie? Nun gut, das hatten sie vielleicht gemeistert. Okay, sie konnten auch skurril sein. Spöttisch? Auch das. Auf liebenswerte Weise drollig? Nun ja, vielleicht auch das. (Der Film Heimat war in dieser Hinsicht eine ziemliche Überraschung.) Ja, aber konnten sie auch witzig sein? Diese langsamen und mühsamen taktischen Rückzugsgefechte zogen sich immer weiter in die Länge, und natürlich wurde es dabei immer wieder notwendig, den Begriff witzig neu zu definieren, und zwar so, daß die Deutschen nicht in diese Kategorie fielen.

Im letzten Jahr saß ich eines Abends in der Abflughalle des Hamburger Flughafens und sah mich plötzlich gezwungen, dieses zunehmend unhaltbar gewordene Vorurteil endgültig aufzugeben. Es war gegen sechs Uhr abends an diesem trüben Tag, der im Kalender fälschlicherweise als Frühlingstag bezeichnet wurde. Den ganzen Tag über hatte es in Strömen geregnet. Ich hatte Hamburg nur durch die verregneten Fensterscheiben eines Autos kennengelernt. Ich hatte vor etwa vierzig Zuhörern aus meinen Büchern vorgelesen, in einem Saal, der sich sehr gut für eine von Hitlers Massenveranstaltungen geeignet hätte. Ich hatte nicht ein einziges Exemplar meiner Bücher verkauft. Und mein Honorar war gerade ausreichend, daß ich meine Einkäufe im Duty-Free -Shop bezahlen konnte. Jetzt saß ich also mit meiner leise klirrenden Plastiktüte unter all den gutgelaunten europäischen Geschäftsleuten, die es allem Anschein nach sehr viel besser als ich verstanden, ihre Waren an den Mann zu bringen, und starrte aus dem Fenster auf die niedrige Wolkendecke, den anhaltenden Regen, die naßglänzende Startbahn. Einfach um die Zeit totzuschlagen und ohne große Erwartungen nahm ich Kriegels Kleine Hundekunde zur Hand, die mir irgendjemand freundlicherweise überlassen hatte. Nachdem ich fünf Seiten gelesen hatte, war meine gute Laune wiederhergestellt. Nach zehn Seiten platzte ich fast vor Lachen, und es machte mir überhaupt nichts aus, daß ich vielleicht unangenehm auffallen könnte. Nach zwanzig Seiten legte ich das Buch schließlich beiseite, weil ich befürchten mußte, die Lufthansa würde mich am Ende nicht ins Flugzeug lassen - mit der Begründung, ich hätte eine gefährliche Dosis Aufputschmittel eingenommen.

Genau das war der Fall. Ich hatte aber nicht nur einen überaus witzigen Karikaturisten entdeckt, sondern auch einen sehr guten Zeichner, der sich durch Vielseitigkeit und eine überzeugende Linienführung auszeichnet. Vergessen wir nicht, daß sich auf dem Gebiet des gezeichneten Humors in letzter Zeit vor allem zwei beklagenswerte Entwicklungen durchgesetzt haben. Das eine ist die Beobachtung, daß es immer mehr Karikaturisten gibt, die nicht zeichnen können; das andere ist die Tatsache, daß die zu den Karikaturen gehörigen Texte ein fast schon tyrannisch zu nennendes Übergewicht erhalten haben. Ersteres verweist auf eine merkwürdige Demokratisierung dieses Berufszweiges - jeder von uns hat neben dem unvermeidlichen, zur Veröffentlichung ungeeigneten Roman natürlich auch ein paar Karikaturen bei sich; das zweite ist Ausdruck einer bedauerlichen Modeerscheinung, die ihren Ausgangspunkt wahrscheinlich im New Yorker hatte. Die Karikaturen in dieser Zeitschrift sind außerordentlich witzig, repräsentieren aber allzu häufig den Triumph des Texters (oder eines Textbearbeiters wie Peter de Vries). Die eigentliche Leistung des Zeichners selbst besteht oft nur noch darin, das mürrische Gesicht des Ehemanns und den wütenden Blick seiner Frau (oder umgekehrt) anzudeuten. Mit anderen Worten, die Zeichnungen dienen nur noch als Rahmen und Illustration für den dazugehörigen Text. In den Arbeiten Volker Kriegels dagegen sind es die Texte, die einen auf die Zeichnungen einstimmen, und es sind die Zeichnungen selbst, die einen zum Lachen bringen. So sollte es immer sein, finde ich, und nicht umgekehrt.

Wir haben es hier also mit einem wirklich witzigen deutschen Karikaturisten zu tun, der auch noch wunderbar zeichnen kann. Die letzte Schwierigkeit besteht nun aber darin, daß er sich ausgerechnet Hunde zum Thema genommen hat. Man sollte meinen, das sei eigentlich kein Problem, denn die Engländer sind schließlich als Hundenarren bekannt, sie halten sich Hunde, sie lieben Hunde, sie shampoonieren Hunde, sie bestatten Hunde und so weiter und so fort. Und doch ist es ein Problem. Es gibt in unserem Lande schätzungsweise sechs Millionen Hunde und sechs Millionen Katzen. Diese Ausgeglichenheit im Hinblick auf Zuneigung und Kaufverhalten ist aber sofort vergessen, sobald einer von uns einen Buchladen betritt. Als Desmond Morris vor einiger Zeit zwei Bücher mit dem Titel Dogwatching beziehungsweise Catwatching veröffentlichte, mußte er feststellen, daß sich letzteres fast doppelt so gut verkaufte wie ersteres. Es stellte sich sogar heraus, daß Catwatching ausgerechnet auf Hundeausstellungen ganz erstaunliche Verkaufszahlen erreichte. Wo aber liegt der Grund dafür? Sind Katzenhalter etwa belesener? Leben alle Katzenhalter in Stadtwohnungen mit Zimmerpflanzen und kaufen regelmäßig die neuesten Taschenbücher, während Hundebesitzer an matschigen, unbefestigten Landstraßen wohnen, die meilenweit vom nächsten Buchladen entfernt sind? Besteht vielleicht eine gewisse Ähnlichkeit darin, ob man seine Katze streichelt oder sich mit einem guten Buch in die Ecke zurückzieht? Ist das Gassigehen mit einem Hund ein wirkungsvoller psychologischer Ersatz für das Lesen? Ist es so, daß Katzen eine Vorliebe für jenes leise Rascheln haben, das beim Umblättern eines Buches entsteht, während Hunde die eher handfesten Anregungen des Fernsehschirms vorziehen? Halten Hunde ihre Herrchen gewaltsam vom Lesen ab? Fressen Hunde Bücher? All das sind Überlegungen, die eine sorgfältige Untersuchung verdienen.

Dieses kleine Buch enthält die Wahrheit über Hunde - eine Wahrheit, die voller Zärtlichkeit, aber auch voller Bitterkeit ist. Trotz ihrer nicht zu übersehenden Schwächen sind Hunde ganz einfach das, was sie sind, und geben nicht vor, etwas anderes zu sein. Es sind ihre Besitzer, die hinterhältig, unberechenbar, schamhaft und sentimental sind. Die menschliche Rasse kann sich glücklich schätzen, daß Hunde noch nicht gelernt haben, rot zu werden. Volker Kriegels Büchlein verrät einen ausgeprägten Hundeverstand, und die Zeichnungen sind begleitet von dem lauten, warnenden Knurren einer erbosten Zuneigung. Es braucht wohl nicht besonders erwähnt zu werden, daß Herr Kriegel selbst Hundebesitzer ist. In der Tat haben die meisten von denen, die in der Widmung seines Büchleins genannt sind, vier Beine und einen Schweif. Ich schlage vor, Kriegels Kleine Hundekunde auf allen Katzenausstellungen zum Verkauf auszulegen.

Übersetzung Hans Harbort

Volker Kriegel, Kleine Hundekunde - Ein Stundenbuch für Hundefreunde, Hundehasser und Hundehalter, Vorwort von Gerhard Polt, Haffmans Verlag, 120 Seiten, 15 DM