Benazir Bhutto: ein Idol enttäuscht

■ Für viele islamische Frauen verbanden sich mit der neuen pakistanischen Premierministerin große Hoffnungen.

An die Wahl Benazir Bhuttos zur pakistanischen Premierministerin vor einem Jahr knüpften sich für Frauen Hoffnungen. Würde hier - richtungsweisend für andere islamische Staaten - die zunehmende Unterdrückung der Frauen aufgebrochen? Hat sich schon etwas verändert? Ist für die Zukunft mit Veränderungen zu rechnen?

Der erste Eindruck ist entmutigend. Dem öffentlichen Erscheinungsbild der Gesellschaft nach hat sich die Re -Islamisierung gehalten, die Straßen werden von Männern dominiert, die wenigen Frauen, die zu sehen sind, sind in ihrer Mehrheit verschleiert. Immer noch gibt es bei Frauen diese plötzliche, seltsame Scham, einen weiblichen Körper zu haben, den Drang, sich zu verhüllen. Zu Zeiten Ajubs hatte die westliche Mode eine gewisse Chance, sich - wenn auch mit der üblichen Zeitverzögerung - zumindest in der Großstadt Karachi bei einigen durchzusetzen. Heute sind die T-Shirts und Minis im Zainab-Markt zu Spottpreisen zu haben. Neuerdings gibt es auf den pakistanischen Postkarten das Motiv einer Gruppe von Frauen im Burqa, dem Übergewand, der sie vom Scheitel zu den Füßen verdeckt, mit einem Gitterchen vorm Gesicht zum Durchgucken. Das läßt sie aussehen wie wandelnde Gespenster, Alptraumgestalten, nicht weniger obszön wie die ausgestellten Rundungen der Strandschönheiten auf Postkarten hierzulande. Der sehr langsam wachsende Einfluß westlicher Wertvorstellungen beschränkt sich auf die gebildeten (und damit meist wohlhabenden) städtischen Frauen. Sie bilden eine verschwindende Minderheit unter Artenschutz der ausgeprägten Klassengesellschaft.

Die Gegensätze, die die Gesellschaft bestimmen, lassen sich Tag für Tag der seit Benazir Bhuttos Amtsantritt liberalisierten Presse entnehmen: Meldungen über politische Intrigen, Korruption, Überfälle, Mordfälle füllen die Seiten; fast täglich gibt es Berichte über Vergewaltigungen und Frauenmißhandlungen. Dabei können Frauen ihre Vergewaltiger nicht einmal anzeigen, weil sie nach islamischem Recht vier Männer als Zeugen anführen müßten, was natürlich unmöglich ist. Daß solche Meldungen - die für islamische Frauen nicht nur psychisch und physisch, sondern vor allem sozial eine Katastrophe darstellen - überhaupt in die Öffentlichkeit gelangen, läßt auf ein sehr hohes Maß an Gewalt gegen Frauen schließen. Der Rechtlosigkeit entsprechen komplementär die Legenden über die blutrünstige indische Räuberkönigin Phoolan Devi oder die auf überdimensionalen Kinoplakaten bildgewordenen Alpträume von der muskel- und waffenstrotzenden Amazone.

Daneben gibt es täglich Neuigkeiten über die zahlreichen Frauenkomitees, -ausschüsse, -aktionsforen, die Resolutionen veröffentlichen und notfalls auf die Straße gehen. Diese frauenpolitischen Aktivitäten werden getragen von gebildeten städtischen Frauen. Trotz aller guten Absichten stehen diese Aktivitäten in einem völlig unangemessenen Verhältnis zum sprachlos-finsteren Burqaleben. Aber selbst das hat seine Kehrseite: auffallend groß ist der Raum, den in den Basaren die Läden für Goldschmuck und betörende Seidenstoffe einnehmen.

Ein Augenblick beim Verlassen eines Inlandfluges: ein bärtiger Mann entrollt unterm Flugzeug auf dem Rollfeld seinen Gebetsteppich und hebt an zu beten, eine Frau im schwarzseidenen Burqa geht an ihm vorbei, nichts von ihr ist zu sehen außer dem, was unten hervorblitzt: spitzenbesetzte, weiße Beinkleider zu silbernen Stöckelschuhen.

Die Tochter der Macht

Auch Benazir Bhutto ist neuerdings auf pakistanischen Postkarten abgebildet: sie ist eine schöne Frau aus wohlhabender Familie, gebildet, Tochter des charismatischen Zulfiqar Ali Bhutto, der von Zia Ul Haq in einem Militärputsch gestürzt und ermordet wurde. Nicht zu Unrecht trägt die deutsche Übersetzung ihrer Autobiographie, im Englischen „Daughter of the East“, den Titel „Tochter der Macht“. Als Erbin der Hoffnungen, die ihr Vater geweckt hatte, errang sie mit der PPP, der demokratischen Oppositionspartei, einen erstaunlichen Wahlsieg trotz der zahlreichen Hindernisse, die ihr die damaligen und heutigen Machthaber in den Weg legten. Die Wahlen, für die Mächtigen ein Ventil für die Unruhe im Land, wurden von der Bevölkerung als „kollektiver Liebesrausch“ für Benazir erlebt.

Inzwischen ist die Mehrheit der Bevölkerung enttäuscht von ihrem Idol und ihrer Politik: alle Lebenshaltungskosten sind enorm gestiegen, die Löhne dagegen nicht. Benazir Bhutto hat mit dem Amt des Premiers die öffentliche Verantwortung für den maroden Staat übernommen, kann jedoch wenig ändern. Wegen der Wahlbedingungen besitzt sie weder im Senat noch in der Nationalversammlung die dafür nötige Mehrheit. Der altbekannte Kampf um politische Pfründe zur Sicherung privater wirtschaftlicher Interessen geht unverändert weiter. Für Benazir Bhutto bleibt nur, mit den bestehenden Machtblöcken zu taktieren, wobei zwei Faktoren zusätzliche Probleme bereiten. Die Regierungsbürokratie, eine Domäne der Punjabis, wird nun von Sindhis geleitet. Und die islamischen Fundamentalisten sprechen ihr schlicht die Eignung für ihr Amt ab, weil sie eine Frau ist. Dennoch scheiterte ihr erbittertster und prominentester Gegner, Mian Navaz Sharif, Oberhaupt der Provinzregierung Punjab, - überraschend für alle - mit seinem jüngsten Mißtrauensantrag. Und das, obwohl er in seinen Kampagnen alle nationalistischen und sexistischen Register zieht. Benazir Bhutto bewies damit ein erstaunliches Maß an Verhandlungsgeschick und politischem Überlebenswillen. Aus den Fehlern ihres Vaters - der den sozialistischen Umbau der Gesellschaft zumindest versprach scheint sie gelernt zu haben. Sie bekennt sich zu einer liberalen und proamerikanischen Politik des Möglichen, der kleinen Schritte, des langen Atems. Wieviel bei ihrer Bereitschaft zu Bündnissen und Versöhnungsgesten für die Frauen Pakistans herauskommen kann, bleibt abzuwarten.

Mariam Dessaive