Nicht mehr alle Tassen im Schrank?

Wie keine andere Stadt hat Stuttgart in diesem Jahr sportliche Großveranstaltungen ausgerichtet, aber die Pläne reichen weiter / Daimler mag nicht von Panzern reden, und Späth fehlt beim Golf  ■  Aus Stuttgart Herr Thömmes

Vom Sport versteht Manfred Rommel so gut wie nichts, aber eines immerhin hat der Oberbürgermeister begriffen: Sport tut gut. Seiner Stadt Stuttgart jedenfalls.

Schon bei der Auslosung des Davis-Cups am Donnerstag vergangener Woche zeigte sich das bewegungsfaule Stadtoberhaupt („Ich fahre höchstens Hometrainer“) angesichts von 250 Journalisten „overwhelmed by the public interest“, und der Gedanke an die kommenden Tage bereitete ihm wohlige Zufriedenheit. Ziemlich erstaunt reagierte er deshalb auf die Frage, ob denn für die bevorstehenden Übertragungen des Tennisspektakels spezielle Spots vorbereitet seien, um für die baden-württembergische Hauptstadt zu werben. Wieso denn, wo doch stundenlang der Davis-Cup zum Ruhme Stuttgarts auf den Bildschirmen flimmere? - „Unbezahlbar.“

Das ist typisch schwäbisch. Wenn schon protzen, dann mit etwas, was nichts kostet. (Thaddäus Troll)

Für die Imageproduzenten und Sportmanager der schwäbischen Metropole war der Davis-Cup so etwas wie eine vorgezogene Weihnachtsbescherung, Gipfel einer Entwicklung, die Stuttgart zur „unheimlichen Sportstadt“ ('Welt am Sonntag‘) gemacht hat. Wem der Sinn nach sportlicher Unterhaltung stehe, spöttelte da die 'Süddeutsche Zeitung‘, müßte nur zur Schleyer-Halle fahren; und sollte wider Erwarten keine Veranstaltung laufen, könne man sich zumindest im Vorverkauf Karten für das nächste Großereignis kaufen.

Die Liste für das Jahr 1989 ist tatsächlich beeindruckend: Internationales Reitturnier, Leichtathletik World Meeting (Carl Lewis), Tennisturniere für Frauen (Filderstadt) und Männer (Weißenhof), Volleyball-Europameisterschaft der Frauen, Tanz-Weltmeisterschaft, Kunstturn-Weltmeisterschaft, Ion Tiriacs „Stuttgart Classics“, German-Masters im Golf, Finale des Davis-Cups. Vom Kleinkram gar nicht zu reden.

Immer wieder müssen wir feststellen, daß der Schwabe zu Extremen neigt. (T. Troll)

Rainer Vögele, seit 1982 Chef der Stuttgarter Messe und Kongreß GmbH (SMK), hatte schon vor drei Jahren gewußt, daß „Stuttgart mit den besten Voraussetzungen gesegnet ist, die man in der Bundesrepublik antreffen kann“. Die mußten nur genutzt werden. Im diesem Sommer dann konnte die 'Stuttgarter Zeitung‘ bilanzieren: „Vögele überzeugte auch die hiesige Wirtschaft und Industrie davon, daß es, selbst für sparsame und eher skeptische Schwaben, sinnvoll ist, Werbegelder in den Sport zu investieren.“

Und wie. Jahrelang war die Bayer AG der Krösus unter den Sportsponsoren, inzwischen ist Daimler-Benz zur Nummer 1 aufgestiegen - und freut sich ganz offen, wenn Willi Daume bei der ARD-Gala zur besten Sendezeit Lobesarien singt. Auch die anderen lokalen und regionalen Hersteller von Nobelprodukten wie Boss, Porsche oder IBM lassen sich nicht lumpen; IBM beispielsweise als Finanzier der großangelegten „Fair geht vor„-Kampagne des Deutschen Sportbundes.

Das Zusammenspiel zwischen Sport, Wirtschaft und Politik funktioniert im Ländle bestens - zum Wohle aller. Die Kontakte sind eng. Wer sich, fürs bessere Verständnis, die Verbindungen zwischen den drei Feldern von einem Kenner der Szene aufzeichnen läßt, hat recht schnell eine verwirrende Menge Linien vor Augen: typische „Vetterleswirtschaft“?

So war Vögele früher Leiter des Amtes für Wirtschaftsförderung; sein Ziehvater: OB Rommel. Und Matthias Kleinert, der seit zwei Jahren bei Daimler als Sprecher agiert, tat in dieser Funktion zuvor Dienst bei Lothar Späth, dem Ministerpräsidenten, einem passionierten Tennisfan.

Seitdem Kleinert den Autohersteller nach außen vertritt, hat dieser sein Engagement im Sport zügig erhöht. Wie alle Sponsoren nicht ganz ohne Eigennutz: „Der Erfolg eines Unternehmens ist nicht nur abhängig von seinen Produkten, sondern auch von der Atmosphäre, in der es sich bewegt“. Mit dem angekratzten Image des Konzerns als Hersteller von Rüstungsgütern hat das natürlich nichts zu tun. Fragen und Antworten zu diesem Komplex, so weiß ein Stuttgarter Journalist aus Erfahrung, streicht Kleinert bei der Vorlage von Interviews zur Durchsicht dann doch lieber gleich ganz.

Ein Ratschlag für Reigschmeckte, sich bei Eingeborenen mißliebig zu machen: Das Wort Profit gebrauchen. (T. Troll)

Wo die Zukunft so positiv aussieht. Die Weltmeisterschaften in der Leichtathletik 1995 hat Stuttgart fast geangelt, die Bewerbung für Olympia 2004 läuft. Und unabhängig von beidem ist zwischen Neckarstadion und Schleyer-Halle der Bau einer modernen Sporthalle geplant, die 15.000 Zuschauern Platz bieten soll. Geschätzte Kosten: Zwischen 100 und 200 Millionen Mark. Bei der Verwirklichung all seiner Ideen sind die Politiker dem Macher Vögele manchmal zu langsam, dann droht er mit der Konkurrenz: „Die Frankfurter bewerben sich praktisch um alles.“ Das zieht.

Ganz reibungslos allerdings verläuft die sportliche Expansion in der Stadt nicht. „Langsam ärgert micht der Vögele“, verriet der Präsident vom TC Weißenhof, Bernd Nusch, als sich die SMK bei der Profivereinigung ATP um ein großes Tennisturnier bemühte. Und der Präsident vom renommierten Club zu Wimbledon ließ, unbritisch heftig, bereits vergangenes Jahr anfragen, ob Stuttgart „noch alle Tassen im Schrank“ habe.

Bisweilen ballen sich die hochkarätigen Veranstaltungen im Schwäbischen mittlerweile derart, daß Zuschauer wie VIPs in echte Wahlnot geraten. Als Anfang Oktober zeitgleich die Tennis-Classics und das Golf-Masters über die Bühne gingen, saßen Sportmuffel Rommel und Tennisfreund Späth einträchtig in der Schleyer-Halle der SMK (Eigner: 65 Prozent Stadt, 25 Prozent Land), das Filzspiel zu verfolgen. Golf-Sponsor Jochen Holy, Teilhaber des Metzinger Herrenausstatters Boss (Werber: Bernhard Langer), war beleidigt. Statt sich dort aufzuhalten, wo er Schirmherr sei, ließ Holy öffentlich über Späth verbreiten, hänge der auf einem „Klepperles-Turnier“ herum.

Wenn d‘ Maus voll isch, schmeckt 's Mehl bitter. (T. Troll)

Der Landesvater war vergrätzt. Die einen hätten ihn schließlich „sehr persönlich eingeladen“, wohingegen er nicht sehen konnte, „welche Bedeutung Sie persönlich meinem Beisein beigemessen haben“. Klein-Dallas am Neckar.

Einen indes ficht das alles nicht an. „Neid“, weiß der gschaffige Schwabe Vögele, „muß man sich hart erarbeiten!“