Verhindert oder verschoben?

■ Die Koalitionskrise in Berlin

Außenstehende mögen sich fragen, warum sich der rot-grüne Senat ausgerechnet jetzt in eine Koalitionskrise manövriert hat. Wo es doch wahrlich Besseres zu tun gibt - schließlich sind seit dem 9. November die Grenzen auf. Nächtliche Krisensitzungen wegen kommunalpolitischer Kräche passen ebensowenig ins Bild wie der Gedanke an Neuwahlen. Wahlkampf - welch profane Vorstellung kurz vor Öffnung des Brandenburger Tores. Nun gut, der Koalitionsbruch ist verhindert, womöglich aber nur verschoben bis zur nächsten Vollversammlung der Alternativen Liste. Dann soll die allerdings ziemlich unberechenbare Parteibasis Bilanz - und notfalls die Konsequenz ziehen.

Natürlich geht es bei dieser Krise nicht nur um kommunalpolitische Konflikte. Es geht - wenn denn noch etwas zu retten ist - um eine neue Rollenverteilung und Aufgabenstellung in einer rot-grünen Koalition nach dem 9. November. Die SPD kann immerhin auf einen Regierenden Bürgermeister verweisen, der an dieser neuen Aufgabe enorm gewachsen ist und die Partei im Schlepptau auf eine Popularitätswelle gezogen hat. Ein wegweisendes stadtpolitisches Konzept hat sie allerdings ebensowenig wie die AL oder irgend jemand anderes in der Stadt. Das könnte man gemeinsam entwickeln, indem man zum Beispiel die Koalitionsvereinbarungen erweitert oder aber die Fraktionen sich zusammentun und den Höhenflug ihres Regierenden mit einer soliden politischen Basis versehen. Nur hätte die AL damit schon vor Wochen in die Offensive gehen müssen, jetzt steht sie mit dem Rücken zur Wand. Trotzdem ist sie wichtig. Allein deshalb, weil sie für so zentrale Themen wie Ausländer- und Flüchtlingspolitik einsteht, die für die SPD in solch historischen Stunden plötzlich hintenanstehen.

Ob die Zeiten für ein neues rot-grünes Politikkonzept günstig sind, ist allerdings fraglich. Die Atmosphäre scheint zumindest nach der letzten Sitzung so vergiftet, daß möglicherweise jede konstruktive Grundlage für „Neuverhandlungen“ bereits fehlt. Und schließlich hat auch die SPD in Bonn wie immer ein Wörtchen mitzureden - und dort stehen die Zeichen längst nicht mehr auf Rot-Grün, sondern auf Deutsch-Deutsch.

Andrea Böhm