Der Conducator verliert die Kontrolle

■ Rumäniens Staatschef setzt weiter auf hartes Durchgreifen gegen die Proteste aus dem Volk

Rumäniens „beliebtestem Sohn des Volkes“ gerät offenbar die Situation im Lande außer Kontrolle. In Temeswar und anderen Städten gingen erneut Tausende aus Protest gegen das Regime auf die Straße. Eine im Rundfunk übertragene Ceausescu-Rede wurde durch Zwischenrufe unterbrochen. Regierungen aus Ost und West brachen am Donnerstag ihre offiziellen Beziehungen zu Rumänien ab.

Nach wie vor beschränkt sich die Nachrichtenlage aus Rumänien auf vereinzelte Augenzeugenberichte. Durch die Schließung aller Grenzen zu den benachbarten Staaten hat sich das Regime hermetisch abgeriegelt. In der einzigen Erklärung zur Grenzschließung, die von der staatlichen Nachrichtenagentur 'Agerpress‘ verbreitet wurde, hieß es, daß das Einreiseverbot für nichtoffizielle Personen erlassen wurde, weil die Bettenkapazität in den rumänischen Hotels wegen der Schulferien erschöpft sei. Außerdem seien die „klimatischen Wetterbedingungen für den Tourismus gegenwärtig ungünstig“.

Daraus spricht nur noch blanker Zynismus, dem es nicht einmal mehr um den Hauch von Glaubwürdigkeit gehen kann. Ceausescu scheint entschlossen, mit seinem Untergang und dem seines Familienclans auch in seinem Land nichts anderes als verbrannte Erde zu hinterlassen. Nachdem der Diktator vorgestern trotz der Aufstände in seinem Reich seine Visite noch planmäßig in Teheran durchgezogen hatte, nahmen Beobachter noch an, er werde den Konflikt beizulegen versuchen - durch die exemplarische Bestrafung einiger Sicherheitsbeamten, die Demonstranten meuchlings erschossen hatten.

Spätestens seit seiner Rede zum rumänischen Volk in Rundfunk und Fernsehen Mittwoch abend ist diese Hoffnung verflogen. Und die Gründe dafür liegen auf der Hand. Nach 25 Jahren Terrorregime und der seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa wohl beispiellosen Brutalität militärischer Einheiten würde ein Nachgeben des „Titanen der Titanen“ diesen in den Abgrund ziehen. Das Volk würde seinen Kopf fordern. Bisher war es noch ungeklärt, ob die sporadischen Proteste, die unter der ungarischen und deutschen Minderheit ausgebrochen waren, auch auf andere Landesteile übergreifen würden. Mittlerweile melden jedoch Diplomaten, die Proteste hätten auch die Hauptstadt erreicht. Eine öffentliche Ansprache, die vom rumänischen Rundfunk übertragen wurde, sei von Zwischenrufen unterbrochen worden. Außerdem war von vier Detonationen die Rede und von Krankenwagen, die durch die Innenstadt rasten.

In seiner Ansprache am Mittwoch hatte Ceausescu ausdrücklich den in Temeswar eingesetzten Sicherheitskräften für ihre „vaterländische Pflichterfüllung“ gedankt. Zur Eskalation sei es nur gekommen, weil aufrührerische Elemente die Militärs, die zunächst nur Warnschüsse abgegeben hätten, angegriffen hätten. Seine Argumentationslinie folgt dabei dem knallharten stalinistischen Kanon. Der deutschsprachige Sender Rumäniens zitierte Ceausescu mit den Worten: „Die Aktionen und ihr terroristischer Charakter stehen in enger Verbindung mit reaktionären, imperialistischen, irredentistischen, chauvinistischen Kreisen und Spionagediensten aus verschiedenen Ländern.“

Offen wird in diesem Zusammenhang das benachbarte Ungarn erwähnt, dessen Rundfunksender „nicht zufällig eine Verleumdungskampagne gegen unser Land verbreitet“. Ceausescus Strategie, die nationalen Minderheiten gegen die Rumänen auszuspielen, um so sein Terrorregime nach innen zu begründen, scheint jedoch nicht mehr aufzugehen. Seine wahnhafte Vorstellung, die Rumänen zum erwählten Volk zu erheben, reicht ihnen nicht mehr. Sie sehen jetzt dem sechsten Hungerwinter entgegen. Noch auf dem letzten Parteitag der KPR hatte er ihnen versprochen, noch müßten sie sich 15 Jahre gedulden, bis das Land das „Stadium des Kommunismus“ erreicht und die „höchsten Gipfel der Zivilisation“ erklommen hätte.

Nun reißen sie ihn, den letzten byzantinischen Despoten, von seinem Sockel. Denn Ceausescus Versprechen aus der Mittwochrede, Gehälter und Renten würden erhöht, dürfte vom Volk nicht mehr erhört werden. Denn zu kaufen gibt es im Lande sowieso nichts. Der endgültige Erfolg des Aufstands hängt allerdings von zwei Fragen ab: Werden sich die Arbeiter im ganzen Land erheben, und wird das Militär die Seiten wechseln? Temeswar, wo sich die Arbeiter zuerst erhoben, kann nicht als das Paradebeispiel herhalten.

Denn diese Stadt hat eine sehr lange proletarische Tradition. Nach Aussagen des ungarischen Außenministers Gyula Horn habe sich in Rumänien eine „ernstzunehmende politische Bewegung“ entwickelt. In diesem Zusammenhang verwies er auf Berichte, wonach es erste Zusammenstöße zwischen Militärs und den berüchtigten Sicherheitstruppen des Innenministeriums gegeben haben soll. Demnach haben Sicherheitsbeamte rebellische Soldaten hinterrücks erschossen. Bereits vorgestern berichteten Augenzeugen, Soldaten, die sich geweigert hätten, gegen ihre Landsleute vorzugehen, seien exekutiert worden.

In einem letzten Kraftakt hat der „Genius der Karpaten“ gestern die Arbeiter Bukarests aufmarschieren lassen, um sich noch einmal die Richtigkeit seiner Linie bestätigen zu lassen. Und Radio Bukarest meldete, die Massen zeigten tiefe Entrüstung über den Verlauf der faschistischen, terroristischen und provokatorischen Aktion“. Währenddessen begannen Schießereien auf den Straßen.

Noch kurz zuvor hatte der Diktator verkündet, sein Volk werde „das Recht auf ein freies Leben auf jeden Fall mit der Waffe in der Hand erhalten“ . Dies verknüpfte er mit der „Haltung des gesamten Volkes 1968 gegen die Invasion der CSSR“. Für Rumänien sei die Lage heute aber schlimmer, alle Angriffe würden zurückgeschlagen. Das hilft ihm nichts mehr. Schon beim Aufstand in Brasov 1987 stand an den Wänden zu lesen: „Ob wir verhungern, erfrieren oder erschossen werden, ist uns egal.“ Heute müssen sich auch die Politiker des Westens fragen lassen, warum es zu so einem Massaker hat kommen müssen.

Klaus-Helge Donath