Noriega ruft zu Widerstand und Guerillakrieg auf

US-Truppen kontrollieren die wichtigsten Kasernen Panamas / Armeechef Noriega rief über Rundfunk zur Bildung von Bürgerwehren auf Eine Million Dollar Kopfgeld / In Lateinamerika steht nur El Salvador bedingungslos auf der Seite der USA / Mindestens 150 Tote  ■  Von Ralf Leonhard

Panama/Managua (taz) - Vierundzwanzig Stunden nach Beginn ihrer Intervention in Panama haben die US-Truppen zwar die Hauptstadt weitgehend unter Kontrolle, doch ihr wichtigstes Ziel, die Gefangennahme oder Tötung von Armeechef Noriega, haben sie nicht erreicht: Der General, auf dessen Kopf die USA eine Million Dollar ausgesetzt haben, ist nicht nur auf freiem Fuß, sondern leitet auch die Verteidigungsaktionen. Von einem unbekannten Ort aus rief er schon am Mittwoch über Rundfunk zum Widerstand auf. Zahlreiche Offiziere zogen sich verschiedenen Berichten zufolge auf Anweisung des Armeechefs mit ihren Einheiten in die Berge zurück, um einen Guerillakrieg gegen die Invasoren zu starten. Rundfunksender riefen die Bevölkerung den ganzen Mittwoch über auf, Bürgerwehren zu bilden. Doch am Abend gelang es einem US -Kommando schließlich, als letzten auch den Regierungssender Radio Nacional zum Schweigen zu bringen. „Achtung! Achtung! Sie greifen uns an!“ waren die letzten Worte des Sprechers. Kurz danach schon schossen Flammen aus dem von Hubschraubern bombardierten Gebäude.

Zwar haben die US-Truppen, die ständig Verstärkung bekommen und inzwischen auf über 30.000 Mann angewachsen sind, die wichtigsten Kasernen in Panama-Stadt und im Landesinneren unter ihre Kontrolle gebracht, doch ist derzeit noch nicht abzusehen, ob und wann die von den USA eingesetzte Regierung unter Guillermo Endara tatsächlich die Staatsgeschäfte übernehmen kann. US-Generalstabschef Colin Powell ließ wissen, an einen Abzug sei erst zu denken, wenn die neue Regierung konsolidiert sei.

Der seit 1. September amtierende provisorische Präsident Francisco Rodriguez verkündete zehn Stunden nach Beginn der Invasion auf einer Pressekonferenz, er habe nicht die Absicht, seinen Posten an Endara abzutreten. Und Außenminister Leonardo Kam erklärte, den USA gehe es nicht darum, einen Mann zu eliminieren, „sondern eine Regierung einzurichten, die ihren Interessen gehorcht“. Kurz darauf gab auch Noriega selbst ein erstes Lebenszeichen von sich. In einer über Radio Nacional ausgestrahlten Botschaft gab er die Devise aus, Widerstand zu leisten, aber nicht um die Kasernen zu kämpfen. Die Zentralkaserne im dichtbesiedelten Bezirk Chorrillo, wo die Angreifer General Noriega vermuteten, wurde stundenlang bombardiert und in Schutt und Asche gelegt. Dabei gab es nicht nur unter den Militärs, sondern auch unter den Zivilisten in den umliegenden Häusern zahlreiche Tote und Verletzte. Allein im Krankenhaus Santo Tomas, dem größten des Landes, liegen nach Angaben von Ärzten 150 Tote. Das Fernsehen zeigte Bilder von Leichen, die in den Gängen gestapelt wurden, nachdem die Totenhalle völlig überfüllt war.

Dem Pentagon zufolge gab es auf Seiten der US-Armee bislang 17 Tote und 117 Verletzte. Vier Hubschrauber wurden im Laufe der ersten Stunden abgeschossen. Außerdem hielten panamaische Soldaten im eleganten Marriott-Hotel 29 US -amerikanische Staatsbürger gefangen. Die Bush-Regierung wollte die Geiselnahme zunächst überhaupt nicht bestätigen; am Donnerstag stürmten dann US-Truppen das Hotel und befreiten die Gefangenen. Erstmals seit seiner Eröffnung im Jahre 1914 wurde der Panamakanal für die kommerzielle Schiffahrt gesperrt, inzwischen jedoch wieder geöffnet. Auch der Luftraum ist gesperrt. Der internationale Flughafen ist von Invasionstruppen besetzt.

In Panama-Stadt nutzten viele das durch die Invasion verursachte Chaos, um Supermärkte und Boutiquen der Innenstadt zu plündern. Mehrere Geschäftslokale wurden völlig verwüstet. Aus den Gefängnissen wurden nicht nur die politischen Gefangenen befreit, auch die gewöhnlichen Kriminellen konnten massenweise entweichen.

In Lateinamerika rief die US-Invasion unterschiedliche Reaktionen hervor. Perus Präsident Alan Garcia berief aus Protest seinen Botschafter aus Washington ab. Carlos Andres Perez, der venezolanische Staatschef, protestierte zwar auch, kündigte aber gleichzeitig an, er werde Guillermo Endara anerkennen, sobald die US-Truppen abgezogen seien. Als einziges Land des Subkontinents unterstützte El Salvador, das von Washington täglich über eine Million Dollar Wirtschafts- und Militärhilfe erhält, den An griff auf Panama ohne jeden Vorbehalt. Einen ersten diplomatischen Schlagabtausch konnte die panamaische Regierung allerdings für sich entscheiden: Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) anerkannte den von Noriega eingesetzten Botschafter Jose Maria Cabrera und wies den Gesandten Endaras zurück.

In Managua appellierte Conrado Cuevas, der Chef der panamaischen Revolutionskomitees, an die befreundeten Nationen wie Nicaragua und Kuba und forderte „materielle und militärische Hilfe“. Auch freiwillige Kämpfer aller revolutionären Organisationen seien willkommen. Cuevas kündigte an, daß sich die Armee und die paramilitärischen „Bataillone der Würde“ in die Berge zurückziehen und die Invasionstruppen in einen langen Guerillakrieg verwickeln würden. Die nicaraguanische Armee wurde währenddessen in höchste Alarmbereitschaft versetzt. „Wenn sie in Panama Erfolg haben“, befürchtete ein sandinistischer Offizier, „wollen sie Nicaragua vielleicht auch gleich mitnehmen.“