Mit dem West-Kopierer in die DDR

■ Dezember 1989: Vier West-Linke aus Bremen auf der Suche nach dem 3. Weg für die DDR / Bericht von einem Besuch in Leipzig

Von unserem letzten Besuch in Leipzig, Anfang September, hatten wir das Bild eines realsozialistischen Alltag mitgebracht, den in seinem Lauf weder Ochs noch die aufkeimenden kirchlichen Öko-Gruppen aufhalten. Wir wußten wohl, daß sich Gruppen unter den Namen „Demokratisch ökologischer Aufbruch“ und „Neues Forum“ zum 40. Jahrestag der DDR an die Öffentlichkeit wagen wollten. Dieses mutige Unterfangen aber hatte am Zusammenbruch des SED-Staates dann weniger Anteil als die Flüchtlingswelle.

Von den Medien bis zum Erbrechen mit den Ereignissen in der DDR überschüttet, flüchteten wir uns beim abendlichen Weine ganz gerne in Visionen eines ökosozialistischen Alternativprojektes „DDR“.

Als „technologische Hilfe“, bundesrepublikanisches Schlüsselwort zum Thema DDR, brachten wir einen in Bremen zusammengebettelten Fotokopierer für die Leipziger Umweltgruppen mit. Das Gerät im Gepäck trafen wir bei unseren GastgeberInnen ein. Die waren gerade mit dem Vorbereitungen zum Parteitag des „Demokratischen Aufbruch“ (DA) beschäftigt. Von uns ein Geschenk an die Geschäftspartner der FDP?

Die GründerInnen des DA, die sich in den Zeiten der SED -Herrschaft heimlich an ökosozialistischen Utopien und am verbotenen Habermas begeistert haben, sind arg in die Minderheit geraten. Auf der Versammlung am 16./17. Dezember konfrontierten sich zwei Diskussionsstile: Hier bedächtig Formulierende, die unter dem Druck der Redezeitbegrenzung versuchen, differenzierte Ansichten zu entwerfen. Da leicht erhitzbare Gemüter, die pragmatische Forderungen aufstellen, ungeduldig drängen, bei eigenen Parteigängern frenetisch Beifall klatschen die Reden der anderen in Tumult untergehen lassen können. Zumindest an der Oberfläche war die mir unsymphatischere Fraktion des DA die lebendigere. Das schließlich beschlossene Programm spiegelt denn auch das Kräfteverhältnis im Saal wie auch außerhalb wider: Marktwirtschaft, Ja zu Atomenergie und Gentechnik mit verschämten Einschränkungen, möglichst bald in einem Deutschland.... Immerhin fand die Forderung nach völliger Entmilitarisierung des zukünftigen vereinigten Deutschland keine Gegenstimme.

„Unseren“ Kopierer jedenfalls haben wir dann lieber nicht dem DA, sondern unseren Gastgebern übereignet.

Joachim Schwarz

Moment mal, die Parteibildungsprozesse in der DDR einfach unter die BRD-Schablone zu legen verbaut gerade die Chance, das Neue zu bemerken. Die Menschen in der DDR sind gezwungen, in einem mörderischen Tempo Strömungen und Lager zu bilden, Programme zu drechseln und Organisationen zu gründen. Leute, die vor sechs Wochen bestensfalls im Rahmen eines kleinen Zirkels Diskussionspapiere verfaßt haben, müssen heute Entscheidungen von geschichtlicher Tragweite treffen. Im DA schlägt die Dynamik der Gesellschaft in Richung Wiedervereinigung durch, woher wolle wir wissen, was dabei herauskommt, wenn diese Richtung sich mit Leuten trifft, die ihre politische Orientierung in der Folge der 68er Bewegung gewonnen haben?

Im Gemenge der Leipziger

Montagsdemonstration

Vorne im Lichtkegel der Fernsehkameras flattert das Schwarzrotgold über den Leuten, Sprech

chöre wie im Fernsehen. Uns ist beklommen. Die Menge johlt und brüllt. Wer will sich mit denen anlegen? Der erste sozialistische Staat

auf deutschem Boden

bricht zusammen.

Wir, für die Theorie und

Praxis des Marxismus in

unserem Leben eine

wichtige Rolle spielte, wollten

wissen, was übrig bleibt.

Die Kundgebung beginnt. Ein Leipziger Bürger spricht. Die Menge hört mit einem Ohr zu, viele beobachten zwei Gestalten, die sich oben auf einem zehnstöckigen Haus zu schaffen machen. Es seien immer die Ungeduld und die Intoleranz, an denen die Revolutionen zugrunde gehen, erklärt der Redner. Was uns am meisten bewegt, ist die nationale Frage, fährt er fort. Der Beifall nimmt zu. Er ist mit Willy Brandt der Meinung: Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört. Riesenbeifall. Aber das braucht Zeit, 5 oder zehn Jahre. Murren in der Menge.

Jetzt kommt eine junge Frau ans Mikrophon, die in England in Exil lebt. Sie berichtet von der Sympathie, die auf der ganzen Welt diesem friedlichen Kampf um die Demokratie entgegengebracht wurde. Die Leute ahnen, daß was nachkommt. Die beiden Gestalten auf dem Hochhaus nesteln mit einem Transparent herum. Die Leipziger Demonstrationen seien umgekippt, kommt die Frau zur Sache. Die Leute schreien ihren Zorn heraus, ersticken die Rede in „Deutschland, Deutschland„-Rufen. Die Frau erkämpft sich wieder das Wort. Wenn Wiedervereinigung, dann müsse Deutschland wenigstens neutral und entmilitarisiert sein.

Das Transparent am Hochhaus ist entrollt. GIB AIDS KEINE CHANCE steht da, die beiden deutschen Staaten im Kartenumriß, aus bayern ragt ein großer Pimmel ins Vogtland. Flugblätter wirbeln vom Dach. In der Demostrantation gibt es ein Kichern.

Auf der Demonstration finden wir einen Block von Leuten mit Transparenten gegen Ausländerfeindlichkeit. Kein 4. Reich, Deutschland unheilbar. Wir laufen ein bißchen mit. Wir erfahren, es sind Studenten der Karl Marx Universität. Andere Demonstranten bleiben zurück, rufen: „Abstand halten!“ „Rote raus aus der Demo!„ Wir wechseln den Block. Viele SDP-Erkennungszeichen. „Die DDR ist ein Schrotthaufen“, sagt man uns: „Die Saubande muß weg“. Und: „Wiedervereinigung - sonst bleiben wir die Versuchskaninchen“. Wir fragen, was sie gegen die andren Demonstranten haben. „Stasi-Kinder.„

Wir versuchen, unseren Abscheu vor den Schwarzrotgoldfahnigen wegzudrücken und legen uns folgendes Argument zurecht: Wir ekeln uns vor nationalen Aufwallungen und fürchten uns vor diesem dumpfen hochgefühl, das die Deutschen immer ergreift, bevor sie sich an Nachbarvölkern versündigen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit planen. Aber hier in der DDR sind die offiziellen Gemeinheiten der Politik unter ganz anderen Symbolen organisiert worden und so ist für die Leute die Fahne der BRD zu allererst ein Symbol der Freiheit, mehr noch ein Symbol gegen die Unterdrückung, die Mißwirtschaft, die Korruption und die Arroganz der Macht.

Damit trösten wir uns und beschließen, allen angestammten Vorlieben in der politischen Landschaft Lebewohl zu sagen und gehen in Auerbachs Keller.

Robert Bücking

Karl Marx oder: Mit

West-Blick ins Herz der SED

„Ich stelle fest, wir sind beschlußunfähig.“ Der Genosse von der GO-Leitung der SED an der Sektion Philosophie der Karl Marx Universität blickt über die Lücken in den Reihen des Hörsaal 18: „Damit kann der Genosse Kandidat heute nicht aufgenommen werden.“ Vor dem 9.Oktober konnte niemand Philosophie studieren ohne Mitglied der SED zu sein. Die Sitzung schleppt sich hin. Ein junger Philosoph mit aufgeregtem Gesicht quält die Versammlung mit eier sieben seitigen Abhandlung, die das neue Programm der SED des Sozialdemokratismus überführt. Alles schläft. Dann stellt die GO-Leitung einen Brief vor, mit dem sie zu einem runden Tisch in der Sektion einladen will. Etwas betreten erklärt der Genosse Versammlngsleiter, er wisse nicht, wie er die Oppositionsgruppen anreden soll. Schließlich wird das Projekt beerdigt, es dämmert den Anwesenden, daß sowieso niemand kommen würde.

Daß West-Besucher auf eine Partei-Sitzung kommen können, ist eigentlich ein Unding. Wir wollten hinterher mit ein paar Leuten in die Kneipe gehen und diskutieren, da kann Robert nicht mehr an sich halten. Die SED war

die Besitzerin der DDR sagt er, der Staat gehörte ihr, die Kombinate, die öffentliche Meinung'die Wissenschaft. Jetzt kämpft die SED ums Überleben, um wenigstens einen Teil dieses Besitzes zu verteidigen. Deshalb muß um jeden Preis die DDR überleben. Dafür ist jedes Argument recht, so kommt das neue Programm zustande und ob Gysi das ernst meint oder nicht ist wurscht. Diesen Zusammenhang spüren die Leute und verzeihen Euch die Vergangenheit nicht, die ihr in die Gegenwart retten wollt. Auf den Demostrationen gewinnen die, die es am besten verstehen, gegen die SED zu polarisieren. Ihr seid so verhaßt, daß alles, was ihr anfaßt, ruiniert wird. Es geht Euch wie im Märchen: Was ihr berührt, wird zu Asche. Der Aufruf „Für unser Land“ ist erledigt, wenn Krenz ihn unterschreibt. Jede Parole eines dritten Weges, die die SED übernimmt, wird diskreditiert. Die SED ruiniert so die mühsam in der Illegalität erkämpften Modelle und Kritiken der Opposition.

Also, wir finden - die SED sollte nicht versuchen, sich zu ändern. Sie wird es sowieso nicht schaffen. Sie sollte bleiben, was sie war. Und mit Anlauf in die Grube fahren. Und diejenigen, die was ändern wollen, sollten austreten und bei der Opposition mitmachen.“

Dezenter Beifall. Die GO-Leitung beschäftigt sich weiter mit

dem Problem der Beschlußunfä higkeit. Die Versammlung dünnt weiter aus, einer nach dem andren geht nach Hause.

Uwe Lange

Ausflug ins

Tal der Ahnungslosen

Ich besuche Verwandte in Hirschfelde und Zittau, im Dreiländereck CSSR, Polen, DDR. Dort ist das „Tal der Ahnungslosen“, dort gibt es nicht einmal West-Fernsehen. Eigentlich gab es ja kaum persönliche Verbindungen. Lasse ich mich jetzt auch schon durch nationale Gefühle leiten?

Hirschfelde wird überragt von den Schloten der Braunkohlekraftwerke und anderer Industrieanlagen. Die politischen Veränderungen werden auch hier täglich diskutiert. Man kennt die Nachbarn, die ArbeitskollegInnen. Dramen spielen sich ab, die SED gibt es in den Betrieben kaum noch, die übriggebliebenen Parteimitglieder sind oft politisch und psychisch am Ende. Eine Lehrerin schreibt an die Schultafel, daß sie keine Kinder von Stasi-Mitarbeitern mehr unterichten will. Das findet meine Kusine übertrieben, obwohl sie ja auch wweiß, wie die Lehrerin bespitzelt wurde.

Der Mann meiner Kusine hat sein Leben lang für was besseres gespart, 30.000 Mark Ost sind auf dem Konto. 17 Jahre steht er auf Warum einer

Sozialdemokrat wird

In Grünau wohnen an die 100.000 Menschen in einem Super -„Tenever“. 20 trafen sich auf Einladung der SDP in einer Begegnungsstätte. Die Männer trinken Orangen-Juice, nur der „Vorsitzende“ trinkt Kaffee. Er hat einfach Recht. Jeder spürt das. Wer da Wort ergreift, ist es spätestens nach drei Sätzen wieder los. Er führt den Diskussionbeitrag zu Ende und antwortet dann, stellt richtig, erklärt, was anliegt.

Er berichtet vom Bürgerkomitee und vom Waffenfund in der Hauptpost. Ehemalige SED-Häuser werden an die Oppositionsgruppen vergeben, Autos und Bürosachen der Stasi ebenfalls. Die SDP sorgt für ihren Anteil.

Aus Hannover von der SPD ist ein LKW eingetroffen. Die große Schwester hat Kopierer und eine kleine Druckerei gespendet. Der Parteiaufbau kann losgehen.

Am Rande der Sitzung erzählt der „Vorsitzende“, daß er mit 14 Jahren von der Schule geflogen ist, weil er an einem heißen Sommertag zum Baden gegangen ist und nicht zur Geburtstagsdemo von Walter Ulbricht. Er hat dann viele verbotene Bücher gelesen, Geschichte und Politik. Von den West-Zeitungen vor allem den SPIEGEL: „Mein Zentralorgan“. Im Selbststudium hat er es bis zum Ingenieur gebracht: „Man mußte nicht in die Parei eintreten“.

Er fragt nach unserer politischen Farbe. Robert sagt: „Umfeld der Grünen“. Ich sage: „DKP“. Ich merke, auf welches Unverständnis ich in diesem Kreis von Sozialdemokraten treffe, die authentisch aus dem von Kommunisten unterdrückten Volk kommen, und schäme mich. Für die Leute hier bin ich Teil einer menschenfeindlichen Macht.

Uwe Lange Auf der Suche nach dem

Dritten Weg

Ich finde spannend, ob sich in der zusammenbrechenden SED -DDR Möglichkeiten für ein anderes Umgehen mit der Umwelt entwickeln als in dieser Bundesrepublik. Im Frühsommer noch war der „Pleiße-Gedenkmarsch“, eine Demonstration zur Rettung des von Chemie-Abwässern verseuchten Flusses durch Leipzig, durch die Volkspolizei verhindert worden. Am 16.12.1989 ist alles anders. Umweltinitiativen sitzen mit den verantwortliche Männern in einer öffentlichen Versammlung. Die Parthe ist in ihrem unteren Lauf ein nach oben offener Industrieabwässerkanal. Der Leiter der staatlichen Gewässeraufsicht erklärt, daß alle Einleiter bekannt sind. Sämtliche Randgemeinden leiten ihre Abwässer ungeklärt in den Fluß. Bei der Reinigung, Gerbung und Färbung von mehr als 1 Million Pelzen jährlich fallen 150.000 Kubikmeter Abwasser an. Es existiert lediglich eine Grobfiltrierung sowie ein mechanisches Absetzbecken aus dem Jahr 1957. Der VEB Sachsenpelz müßte schließen, wenn die Gesetze eingehalten würden...

Mir wird klar, daß es auf dieser ökonomischen Basis keinen dritten Weg geben wird. Die DDR-Wirtschaft war oft nur durch massive Umweltverschmutzung konkurrenzfähig und alles deutet darauf hin, daß hier kurzfristig nur Technologie und Kapital aus dem Westen Verbesserungen bringen werden. Und gleichzeitig nehme ich Abschied von der Illusion, daß auf den Trümmern des DDR-Sozialismus die so dringend notwendigen Ansätze für eine andere Lebensweise besser entstehen können als in der BRD.

Uwe Lange